Noch ein mal ein letztes MalLesedauer ca. 4 Minuten

Dieser Text entstand als Beitrag für Tischreden. Alle anderen Beiträge finden Sie auf www.tischreden.ch.

Bild von Jacopo Bassano
Bild von Jacopo Bassano

Zu unserem philosophischen Abendmahl eingeladen, habe ich mich vorab gefragt, was ich denn mit Ihnen, mit euch zu teilen hätte. Was könnte zu brechen, so zu teilen sein, dass – es geteilt – aus dem ein-mal, dem letzten Mal, ein mehr-mal würde?

Zuerst reflektierte ich auf die Spannung zwischen dem ersten Mal und dem letzten Mahl und es lag nahe, dieses Spannungfeld zwischen den Polen der Psychoanalyse und der christlichen Kirche auszumalen. Während die Psychoanalyse dem Verborgenen der Vergangenheit, dem Mythos des ersten Mals die Kraft des Bedeutungstragenden zuschreibt, das enthüllt werden muss, um den Zwang der Wiederholung aufzubrechen, gewinnt die christliche Kirche dieses Bedeutungstragende aus dem letzten Mahl und seiner Wiederholung in der kirchlichen Liturgie.
So entsteht das Paradox, dass hier im Zusammenhang der Liturgie das letzte Mahl gerade erst der Anfang des Lebens in der Gnade ist, während dort das erste Mal verstanden wird als endgültige Besiegelung und Einverständnis mit der grundsätzlichen Unmöglichkeit, als Mensch in der Kultur glücklich zu sein. Dies weiter ausmalend allerdings hätte ich einer gewissen Tristesse wohl kaum ausweichen können, so suchte ich weiter.

Es schien mir, dass unter dem Titel „letztes Mahl“ eine Betrachtung über die spezifischen Unterschiede einer- und Analogien andererseits zwischen diesem philosophischen und dem christlichen, dem theologischen Abendmahl wohl angebracht wäre. Doch dieser Erwartung nun wollte ich nicht genügen, auch wenn ich möglicherweise etwas dazu hätte sagen können mit dem Hintergrund eines Menschen, der als Jugendlicher einmal Theologie zu studieren wünschte, dann aber die Philosophie wählte und auch erfolgreich deren Studium wieder abbrach, um nun in der Nebenbeschäftigung als Politiker schliesslich doch dem Hang zur höheren Verführung durch das Wort nachzugeben.
Aber nun lasse ich Worte und Wein fliessen, ohne theologisch-philosophisch auf Ihre Beziehung hin zu reflektieren.

Das letzte Mahl ist ja auch nicht nur in der christlichen Tradition von Bedeutung. Auch in der Gegenwart hat das letzte Mahl eine zynische Aufmerksamkeit verdient – im Zusammenhang mit der Todesstrafe. Ich kenne die Statistiken nicht, welche die Essenswünsche auflisten der als Todeskandidaten bezeichneten Menschen („Todeskandidaten“, als hätten sie sich etwa dafür beworben, staatlich umgebracht zu werden). Aus rationaler Perspektive ist ein solch letztes Mahl absurd: was sollte man noch essen, wenn man doch gleich stirbt. Gerade deshalb ist dieses Mahl symbolisch überladen, kann auch nur symbolisch gelesen werden: das Essen als reiner Genuss, nicht als Mittel zum rationalen Zweck. Man könnte nun sagen, dass die Gewährung des letzten Mahls ein Akt der Humanität wäre, ein Versuch, die „pursuit of hapiness“ aus der amerikanischen Verfassung in den Körper des Verurteilten einzuschreiben. Dieses letzte Mahl verweist aber ebenso in einer direkten Analogie auf die Todesstrafe selbst, die ich nur als perversen Genuss und nicht als Mittel zu einem rationales Zweck deuten kann. Es wäre mir schwer gefallen, in diesem Zusammenhang auf das folgende Snippet zu verzichten, das mir meine Internetrecherche zum Stichwort „letztes Mahl“ serviert hat:

Da hat doch tatsächlich die internationale radikale Tierrechtsorganisation PETA versucht, den Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh dazu zu bewegen, zumindest für sein letztes Mahl ein veganes Gericht zu bestellen. McVeighs Antwort ist in ihrem kurzen Fazit luzide, er lässt mitteilen „Ich kann keine längere intellektuelle Debatte zu diesem Thema führen, da ich nur noch wenig Zeit habe“ und schlägt vor, PETA solle sich doch an Ted Kacynski, den Unabomber, wenden. „Mein letztes Mahl gehört mir“, könnte man diese Haltung beschreiben. Oder etwas präziser: „Ich verweigere mich, euren Genuss der Verweigerung durch meine Verweigerung des Genusses in mich einzuschreiben.“

Das kann ich gut verstehen. Statt dem Genuss der Verweigerung fröne ich selber auch lieber dem Genuss der Vernichtung, in kulturell durchaus salonfähigem Rahmen – nein ich meine nicht das Börsenspiel – und dies führt mich auch zur letzten Einladung dieses letzten Mahls.

Diese verlockendste Einladung dieses letzten Mahls ist – und ich habe sie bereits, sie haben es gemerkt, angenommen – natürlich die Versuchung, diesen Zeitpunkt (was ja das althochdeutsche mal bedeutet) zu nutzen, um über die unhörbare Differänz von Mahl und Mal zu reflektieren. Diese unhörbare Differänz ist wohl das, was zu unserem Genuss vernichtet wird, ein Genuss, der sich spannt von der Erwartung der Einmaligkeit des letzten Mals (ohne h), über das sinnliche Tilgen des letzten Mahls (mit h) bis zur schönen Erinnerung an das letzte Mal (wieder ohne h). Man könnte auch sagen, dass diese unhörbare Differänz sich materialisiert und wieder konsumiert wird in dem, was auf und wieder vom Tisch kommt, oder man kann ganz einfach sagen, dass der Raum, der sich in dieser Differänz auftut, dem Mass der Musse folgt.

Diese Musse gilt dem Essen und dem Reden: und so kann ich den Bogen zum Anfang schliessen: das was ich teilen kann mit Ihnen, mit euch, ist gerade das, was ich nicht mitteilen kann: der Genuss des Unhörbaren.

Mahlzeit!

B. Glättli, November 2001