Brauchen wir einen neuen Sonderbundskrieg?Lesedauer ca. 2 Minuten

blogpost_integration_squareIn der aktuellen Integrationsdebatte wird deutlich, dass die Rechte gegenüber ImmigrantInnen einen kulturellen Hegemonieanspruch durchsetzen will, den sie gegenüber der Gesamtgesellschaft nicht aufrechterhalten kann.

Integration – das war einmal ein sozialreformerischer Begriff, der aufs Engste mit Chancengleichheit und Gleichstellung verbunden war. Er stand dafür, dass auch Ausgegrenzte und Benachteiligte ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Ganzen haben sollten – von den Frauen (immerhin der Hälfte der Gesellschaft), über Behinderte und Homosexuelle bis hin zu den ImmigrantInnen. Heute hat er sich – zumindest was ImigrantInnen betrifft – in sein Gegenteil verkehrt. Sie müssen nicht nur die jeweilige Landessprache lernen, sondern sich vor allem in die «Mehrheitskultur» integrieren, sprich: sich assimilieren. Aktuelles Beispiel für den Zwang zur Anpassung sind die schweizerischen oder deutschen Fragebogen für Einbürgerungs-KandidatInnen.

Die hundert Fragen des Bundeslandes Hessen, die in Deutschland zum Partyquiz avancierten, gehören zur harmloseren Variante. Sie verlangen bildungsbürgerliches Wissen, das man zur Not auch auswendig lernen kann. Der ideologische Charakter der Fragen versteckt sich hinter einer keineswegs mehrheitsfähigen Schiller-Goethe-Beethoven-Kultur und hinter einem staatsbürgerlichen Wissenstest. Die Fragen repräsentieren den politischen Horizont des etablierten Parteien-Spektrums und der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die Verfassung mag zwar grundsätzliche politische und soziale Veränderungen zulassen, die Einbürgerungsfragen tun es nicht.

Fragebogen werfen Fragen auf

Der «Kampf der Kulturen» findet aber nicht nur im Multiple-Choice-Format statt. In der aktuellen Integrationsdebatte sehen sich vor allem MuslimInnen mit Forderungen nach einer aufgeklärten Haltung konfrontiert, die bei näherer Betrachtung auch für das «christliche Abendland» keineswegs selbstverständlich ist: «Ihr Sohn erklärt Ihnen, er sei homosexuell. Was tun Sie?» – so eine der Fragen an Einbürgerungswillige. Bei einer ehrlichen Antwort dürften nicht nur papsttreue KatholikInnen oder fundamentalistische ProtestantInnen, sondern auch viele ganz und gar unreligiöse Eltern durch den kaum verheimlichten «Islamistenfilter» fallen.

Die gleichen konservativen Politiker, welche 1997 in der Debatte über die Kinderrechtskonvention im Nationalrat auf dem elterlichen Recht zur körperlichen Züchtigung ihrer Kinder beharrten und die bei der Debatte über die Vergewaltigung in der Ehe den «Einfluss des Staates im Schlafzimmer» bemängelten, mutieren nun zu «Frauenverstehern» und Kinderschützern. Die Lehre aus der von rechts angezettelten Integrationsdebatte lautet: ImmigrantInnen sollen zugleich die konservativeren und die fortschrittlicheren, auf jeden Fall die besseren SchweizerInnen oder Deutschen sein. Und vor allem sollen sie nicht aufmucken.

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Quelle: Dieser Artikel von Balthasar Glättli und Heiner Busch erschien im Bulletin 2006/02 von Solidarité sans frontières im Juni 2006.