GerechtigkeitLesedauer ca. 4 Minuten

blogpost_pszeitung_squareDie aktuelle Debatte um den Klimawandel fand letzten Samstag einen Publikums-Höhepunkt mit den LiveEarth Konzerten rund um den Globus. Mich selbst, ich gebe es offen zu, hat dieser Gratis-Beitrag an den Wahlkampf der Grünen nicht wirklich vom Sockel gehauen. Besser gefallen hat mir, dass im Begleitprogramm nochmals Al Gores «An inconvenient truth» gezeigt wurde. Ich frage mich wirklich, wie man diesen Film sehen oder sogar andern zeigen kann – man erinnere sich an den Wahlkampfauftakt eines unterdessen Regierungsrats – ohne daraus drastische Konsequenzen zumindest im umweltpolitischen Bereich zu ziehen. Gore’s Film ist, nach allen Regeln der Kunst dramaturgisch ausgestaltet, für mich viel bewegender als alle Pop Konzerte von lokalen und globalen Göläs zusammengenommen.

Das war mal anders und ich erinnere mich zurück. Erinnere mich, wie mich seinerzeit die «Free Mandela» Kampagne und das berühmte Konzert vom 11. Juni 1988 im Wembley Stadion bewegten.

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Weshalb lässt mich als Grünen das tolle Engagement für den Klimaschutz eher kalt? Klar ist es heuchlerisch, wenn man in New York im Offroader zum Stadion fährt, um dort sein Klima-Versprechen abzugeben. Klar ist es lächerlich, wenn Snoop Dog erklärt, er würde nun öfter mal das Licht löschen und vielleicht sogar ein paar Energiesparlampen kaufen – solange er selbst im Jet um die Welt düst. Klar ist es inkonsequent, wenn an den Konzerten tonnenweise Abfall von Wegwerfbechern rumliegt. Klar. Aber es ist nicht nur das, was mich stört.

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Mühe macht mir die vielleicht etwas amerikanische, vielleicht auch einfach sehr technokratische Herangehensweise ans Problem des Klimawandels. Die Idee, es könnte alles einfach so weitergehen, bloss dass wir ein paar andere Produkte kaufen müssen, ein paar neue Labels einführen, ein paar CO2-Kompensationsprojekte aufziehen.

Für mich ist und bleibt der Umweltschutz letztlich eine Frage der Gerechtigkeit. Und weder eine Frage der verwendeten Technologien noch des schlechtmöglichsten Gewissens. Ja, ich weiss: das ist nicht modisch. Und tönt, auch wenn es nicht so gemeint ist, gar etwas schrecklich moralisch. Ich fürchte fast, dass auch meine ParteikollegInnen – gerade diejenigen, die fachlich sehr viel von der Sache verstehen – mich teils etwas gekreuzelt anschauen werden, sollten sie diesen Artikel lesen. Die Debatte läuft ja heute ganz anders. Von Verzicht ist schon lange nicht mehr die Rede, sondern von Markt und Kompensation, von Peak Oil und Effizienz. Alles ist möglich, wenn nur der Preis stimmt. Wir müssen nur einige Anreize richtig setzen – CO2 Abgabe erhöhen und auf Treibstoffe ausweiten und so weiter – und an ein paar anderen Stellen verbindliche Richtlinien oder notfalls Verbote einsetzen für das, was offensichtlich mit Überzeugungskraft und Preis nicht von alleine geht.

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Wenn ich mich erinnere, was mich denn damals, um 1988, so bewegte, mich für die Abschaffung der Apartheid zu engagieren, so ist es wohl das gleiche, was mich heute bewegt. Das Ideal, dass jeder Mensch gleich zählen muss, gleich viel Wert ist. Dort war dieses Ideal in einer Deutlichkeit verletzt, die himmelschreiend war. In einem rassistischen System, das per Definition zwei Gruppen von Menschen trennte, mit Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, auf Gesundheit, Bildungsmöglichkeiten, wirtschaftliche Entwicklungs-Chancen und selbstredend den ganzen Bereich der Politik und Mitsprache.

Dieses Ideal der Gleichheit wird aber auch ebenso systematisch von einer globalen Wirtschaftsordnung verletzt, die ganze Länder und ganze Bevölkerungsgruppen ihrer Entwicklungschancen und Freiheiten beraubt – meist unterstützt, das macht es nicht besser, von lokalen sogenannten «Eliten». Und es wird verletzt wenn wir systematisch, nicht alle bewusst aber umso konsequenter auf Kosten der kommenden Generationen leben. Als gäbe es keine Zukunft von Menschen, die ihre eigenen Zukunftspläne spinnen wollen.

Als Gegenpol formuliert und deshalb auch politisch interessant ist der Ansatz der 2000 Watt Gesellschaft, die als normative Grösse eben nicht eine x-beliebige Absenkung nimmt, und – soweit ich es verstehe – auch nicht vorab die ökologische Auswirkung als Massstab setzt. Stattdessen wird der durchschnittliche globale Pro-Kopf-Energieverbrauch von 1990 einfach gleichmässig auf alle Menschen verteilt. Warum sollte nicht jeder Mensch zumindest das gleiche Recht haben, die Umwelt zu verschmutzen?!

Ist es das, was mich zum «Linken» macht, diese uralte Idee der Bürgerlichen Revolution weitergesponnen? Dass eben Gleichheit und Gerechtigkeit nicht nur Stimmrecht und Stimme für alle bedeutet, sondern auch Nahrung und faire Beteiligung am Kapitalgewinn, sauberes Wasser und Luft zum Atmen? So hoffnungslos altmodisch bin ich wohl. Und mit der blinden Liebe zum Staat, die gemeinhin mit «links» konnotiert wird, hat das alles herzlich wenig zu tun.

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P.S.: Spannend finde ich – um den Bogen zu schliessen – immer wieder, wie schnell sich die Werbewirtschaft in die herrschenden Diskurse einschreibt. So wird nun plötzlich der Smart mit dem Argument verkauft, er sei klimafreundlich. Und auch andere Automarken sind auf den gleichen Zug aufgesprungen. Die Erdgaslobby plakatiert sich in grün. Ich grinse.

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P.S. 2: Bemerkenswert ist umgekehrt, wie in der Klimadebatte unterdessen neben den offensichtlichen auch versteckte «Sünden» aufgedeckt werden. So kann ich mich nicht mehr einfach hinter meiner Autofreiheit verstecken, sondern muss mir überlegen, wie viel Strom denn meine Internetnutzung braucht und wie viel graue Energie in meinem Laptop steckt. Die beiden Rechenzentren des Hosters meiner Website www.glaettli.ch in Berlin und Karlsruhe verbrauchen 30 Gigawattstunden im Jahr – immerhin soll in den nächsten Monaten auf Ökostrom umgestellt werden.

Balthasar Glättli