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Die Ständeratswahlen im Kanton Zürich sind, das ist der momentane Stand, gelaufen. Gratulation an Ueli Maurer. Aus meiner Sicht ist es zwar nachvollziehbar aber politisch unverantwortlich, dass bis zum Redaktionsschluss keine Einigung auf eine Einheitskandidatur von Links-Grün-Mitte stattfinden konnte. Wahlempfehlungen einzelner Parteien für die eine oder andere Kandidatin können hier nichts mehr ändern. Dieses Resultat wurde so provoziert, als am Dienstagnachmittag die KandidatInnen die Verantwortung für einen allfälligen Rückzug je an ihre Parteien delegierten. Es ist klar, dass es aus der Sicht einer Partei viel schwieriger ist, einen Kompromiss zu schliessen und einen Schritt zurück zu machen, für den man vielleicht fünf Minuten Respekt erhält – und danach richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Duell der im Rennen gebliebenen Partei gegen die SVP. Auch dass es einer Partei nicht möglich ist, eine Kandidatin nach gutem Abschneiden gegen ihren Willen zurück zu ziehen, ist für mich als Ko-Präsident der Grünen nachvollziehbar. Deshalb liegt der Ball nun wirklich bei Chantal Galladé und Verena Diener.
Eine im Moment unwahrscheinliche Lösung kann aus meiner Sicht heute nur noch über die persönliche Rückzugs-Entscheidung einer der beiden KandidatInnen kommen. Wer auch immer diesen Schritt macht, wird mindestens so viel zu einer angemessenen politischen Vertretung des Kantons Zürich im Ständerat beitragen wie diejenige Kandidatin, welche den Wahlkampf führt. Und sie könnte ihrer Politbiographie auch den Eintrag hinzufügen, dass sie fähig ist, Inhalte vor die eigene Person zu stellen. Sollte allerdings keine Einigung möglich sein, tragen aus meiner Sicht sowohl Verena Diener als auch Chantal Galladé beide je die volle Verantwortung am zu erwartenden Wahlsieg Ueli Maurers.

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Übrigens möchte ich an dieser Stelle auch eines klarstellen: es geht in diesem Wahlkampf tatsächlich nicht einfach darum, gegen Ueli Maurer oder gegen die SVP zu sein. Es ist auch nicht die gleiche Ausgangslage wie bei der Regierungsratsersatzwahl von Hans Hollenstein. Dort konnte man mit Fug die Haltung vertreten, dass die grösste Partei angemessen mit zwei Personen im Regierungsrat vertreten sein sollte. Oder man konnte darauf verweisen, dass Hans Hollenstein nun wirklich nicht als Vertreter des linken oder ökologischen Flügels der CVP gelten könnte. Ja, und man konnte – wie es schliesslich auch die Grünen im zweiten Wahlgang taten – eine inhaltliche Uebereinstimmung in wenigen wichtigen Bereichen wie der Haltung zu den Staatsfinanzen und zum Steuerfuss feststellen.
Wie auch immer: Heute geht es um eine andere, nicht nur negativ sondern stark auch positiv zu begründende Entscheidung. Aus grüner Sicht ist der Vorrat an politisch inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit beiden KandidatInnen gross, sehr gross, währenddem die inhaltliche Deckung mit Ueli Maurer gegen Null tendiert.

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Hin zu Erfreulicherem! Die Nationalratswahlen waren ganz klar ein Erfolg für die Grünen. Einerseits haben wir den angestrebten vierten Sitz schliesslich doch noch erreicht, auch wenn die Situation bis in die Nacht spannend blieb… Perspektivisch für die Grünen ebenso wichtig ist allerdings, dass wir in der Stadt Zürich eindrücklich als drittgrösste Kraft bestätigt wurden und in der zweit- und drittgrössten Stadt Winterthur und Uster nun auch den Sprung aufs Podest der drei grössten Parteien geschafft haben. Das ist vor allem in Uster doch erstaunlich, ist doch der Bezirk klar eine Hochburg der Grünliberalen – allerdings mit dem Zentrum Dübendorf.
Dieses Überholen der FDP ist umso eindrucksvoller, als mit den Grünliberalen im ökologischen Kernthema eine direkteste Konkurrenz der Grünen nochmals besser als im Frühling abschnitt.

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Praktisch unkommentiert in den Wahlanalysen blieb das praktische Verschwinden der Alternativen Liste. Unbemerkt vielleicht darum, weil es auch bereits im Wahlkampf um die AL still blieb. Sicher war der erneute Versuch Niggi Scherrs, endlich den grossen Sprung nach Bern zu schaffen, nicht unbedingt die innovativste Personalentscheidung der AL. Umgekehrt wird der allseitige und überparteiliche Respekt für den Gemeinderatsfuchs ja nicht nur von ihm selbst in den Wahlunterlagen herbei geschrieben sondern ist schlicht eine Tatsache. Auch wenn in der letzten Zeit sich öfter in die Voten des Politfossils erkennbar Bitterkeit mischte und die Frische und Beweglichkeit der Argumentation doch merklich trübte.

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Bedauerlich wäre, wenn es ohne AL auch weiterhin eine Strömung der Linken nicht nach Bern schaffen würde, welche ich momentan in der Grünen Fraktion in Bern kaum vertreten sehe. Aus meiner Sicht gehört sie stark dort hin – denn sie ist stark auch mit der Herkunft der Grünen verknüpft. Ich meine das libertäre und egalitäre Erbe. Schon 1999 hatte ich im PS nach den Wahlen etwas gestelzt geschrieben: «Die GRÜNEN haben eine liberale, nein besser: eine libertäre Tradition. Und wo sie sie nicht haben, da müssen sie sie schleunigst erfinden! Politisch bedeutet dies: Schutz der Privatsphäre vor Staat und Wirtschaft, Schutz der individuellen Lebensentwürfe – aber auch Skepsis gegenüber der unpolitischen staatlich-technokratischen Verwaltung der individuellen Benachteiligungen. (…) Wir müssen solidarisch für das universelle Recht aller an der Teilhabe an der Gesellschaft und an der Macht einstehen. Trotz, wegen – nein: unabhängig von ihrer persönlichen Benachteiligung. Also kein immer ausgetüftelteres System sozial abgefederter Benachteiligungen. Sondern ein einfaches, simples und gleiches soziales Netz für alle.» Ich hoffe, dass dieses staatskritische Erbe, die Kritik an einem Apparat, der ohne Erneuerung immer auch zum Selbstzweck zu verkommen droht, dass dieses libertäre Erbe durch neue grüne Kräfte in Bern etwas mehr Gewicht erhält.