Eigentlich würde man einen fiebrigen Kanton Zürich erwarten. Zumindest fiebrige Politikerinnen und Politiker. Immerhin stehen wichtige politische Weichenstellungen an. Der zweite Wahlgang der Ständeratswahlen im Kanton Zürich. Und Abstimmungen über polarisierende Sachfragen: Flughafenpolitik und Steuerrabatte für reiche UnternehmerInnen. Auch in der Stadt Zürich hätte ich um die geplante Delegation der Einbürgerungskompetenz eine heftigere Auseinandersetzung erwartet, als ich sie jetzt erlebe.
Stattdessen hängen die Parteien etwas erschöpft in den Seilen. Das kann ich ja persönlich nachvollziehen, nach den Wahlkämpfen im Frühling und Herbst. Aber auch die Medien scheinen der politischen Showdowns etwas überdrüssig geworden zu sein. Boten die Ständeratswahlen in der Woche nach dem 21. Oktober noch zu ausgedehnten Kommentaren der Journaille Anlass und wurde als Einladung zum Auswalzen des Clichés aufgenommen, dass jede tough geführte Auseinandersetzungen um Macht unter Frauen automatisch ein «Zickenkrieg» ist, so ist unterdessen wo’s wirklich um die Wahlen geht jedenfalls in den Leitmedien NZZ und Tagi die redaktionelle Behandlung fast unter die Wahrnehmungsschwelle gefallen.
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Die SVP hinter Maurer versucht mit viel Mühe möglichst profillos zu wirken. Bloss der Kandidat selbst gibt jeweils erfrischend die glaubwürdige Saftwurzel, wenn er sich etwa in der Arena für den potentiellen Nachrücker Schlüer einsetzt und auf die Frage, ob er diesen zum Verzicht bewegen würde, antwortet, er verseckle doch keinen Kollegen bloss um seine eigenen Wahlchancen zu erhöhen. Chapeau!
Eher als derjenige von Maurer leidet Verena Dieners Wahlkampf unter der verhaltenen Aufnahme der Medien. Die relativ geringen eingesetzten Mittel für bezahlte Werbung stehen aber auch ein wenig im Gegensatz zum grosspurigen Auftreten des GLP Ko-Präsidenten Martin Bäumle, der sowohl bei der PK zur Lancierung von Verena Diener für den zweiten Wahlgang als auch im Rundbrief an die GLP-Mitglieder betonte, dass die ehemalige Regierungsrätin sogar in einer Dreierkonstellation Chancen gehabt hätte. Diener selbst dagegen geht ihre schwierige Aufgabe durchaus mit Respekt an, zeigte manchmal auch jenes innere Feuer, das sie im ersten Wahlgang noch vermissen liess.
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Ebenso sehr wie die laue Aufnahme des zweiten Ständeratswahlgangs erstaunt mich allerdings, dass Plafonierungsinitiative und ZFIplus-Gegenvorschlag nicht höhere Wellen werfen. Immerhin war in der Vergangenheit das Thema Fluglärm Anlass zu erbittert geführten Kontroversen. Ich habe einen bösen Verdacht und hoffe nur, dass die Abstimmungsresultate ihn widerlegen: Viele der lautesten Fluglärmgegner haben vor allem die eigene Situation im Blick – wenn’s um eine allgemeine Einschränkung des Flugverkehrs geht, die kaum die persönliche Lärmbelastung vermindern mag, sieht alles anders aus. Sollte dies zutreffen, wäre das verheerend. Leider reicht’s einfach nicht, wenn nur diejenigen, welche ganz unabhängig von ihrem Wohnort aus Klimaschutzgründen den Flugverkehr (selbst bei künftig leiseren Flugzeugen) limitieren wollen, Ja zur Initiative und Nein zum Gegenvorschlag stimmen.
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Desinteresse und tiefe Stimmbeteiligung: Krise der Demokratie? Ich denke nicht. Vermutlich sollten ich und andere Politikerinnen und Politiker das Desinteresse nicht nur durch die eigene Brille bewerten – mit dem stillen Verständnis jener, die nach dem Effort des bisherigen Wahljahrs leicht ermüdet sind. Sondern wir sollten es mit der Gelassenheit jener verstehen, für welche die Politik nicht mehr (und nicht weniger) als einfach eines von vielen möglichen Feldern der Auseinandersetzung ist.
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Man muss kein Anhänger der Systemtheorie sein um konstatieren zu können, dass die Politik oft nicht die Leitrolle über andere Bereiche einnimmt, in der sie sich selber gerne sähe. Nicht nur die Wirtschaft (und auch sie durchaus vielstimmig!), sondern auch das Rechtssystem, die Verwaltung, die öffentliche Meinung/Medien, die Kultur sprechen mit eigener Stimme, reiben sich auf je eigene Art in sich selbst und untereinander.
Wer heute ganz simpel wieder eine herausragende Stellung der Politik (gemeint ist damit: der institutionellen Politik) einfordern will, wie dies als Reaktion auf die Herausforderungen der Globalisierung unter dem Schlagwort «Rückeroberung des Primats der Politik über die Wirtschaft» geschieht, verkennt zweierlei: Erstens war der Verzicht auf Möglichkeiten der Einflussnahme der Politik auf die Wirtschaft nicht Folge einer Niederlage der «Politik» gegenüber der «Wirtschaft», sondern ein Prozess innerhalb des politischen Feldes. Eine Folge immanent politischer Mehrheits-Entscheiden. Diese herrschenden Mehrheiten aber werden keine anderen, indem man der institutionellen Politik wieder mehr Einfluss über andere Bereiche zuerkennen will! Zweitens ist umgekehrt auch der Rückblick auf das «Primat der Politik» wohl eine nostalgische Erinnerung an etwas, das es in dieser Form gerade in der Schweiz nie gegeben hat. Durchaus glücklicherweise. Denn historische Versuche, eine positive Totalität des Politischen zu konstruieren, haben durchwegs in der negativen Kälte eines totalitären Verwaltungsapparates geendet.
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Ist das nun bereits der Schwanengesang eines Anfang 2008 von diesem Parteiamt zurücktretenden grünen Ko-Präsidenten? Nein. Sondern ein Bekenntnis, dass das «Politische», jenes Spiel der Kräfte, der Argumente und Interessen, das mich immer faszinieren wird und alle Menschen betrifft, nicht nur im Feld der institutionellen Politik stattfindet. Diese medial vermittelte Politik dagegen, die nur auf den Showdown setzt, ist oft spannender für diejenigen, die sie machen, als für diejenigen, die von ihr betroffen sind. Ich werde dennoch die Resultate am 25. November mit Spannung erwarten…