Anmerkung: Einen Tag nachdem ich diesen Text ans P.S. geschickt hatte, erhielt ich von meinem Anwalt Bericht, dass mein Akten-Einsichtsgesuch ergeben hätte, ich sei fichiert…
Über Umwege war die hochgeheime Geschichte öffentlich geworden. Sechs Basler Parlamentarier mit kurdischen Wurzeln vom Staatsschutz beschnüffelt – obwohl dieser nur bei dringendem Verdacht auf Terrorismus, Spionage oder Extremismus verdeckt ermitteln dürfte. Die Empörung war gross. Erinnerungen an den Schnüffelstaat wurden wach. Meine persönliche Reaktion schwankte zwischen riesiger Empörung und, ich muss es zugeben, einem lakonischen „hab ich?s mir doch gedacht“.
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Unterdessen sind zwei Wochen ins Feld gegangen. Zwei potentielle Sonntags-Primeurs später. Zeit zu recherchieren, Zeit zu kommentieren. Zeit für die Medien, sogenannte vierte Gewalt, zumindest genug offene Fragen zu formulieren, damit die Politik gezwungen würde, die neue Schnüffelaffäre ernst zu nehmen – über die Parteigrenzen hinweg. Denn der Schutz der Privatsphäre vor den staatlichen Schnüfflern sollte eigentlich von links bis rechts common sense sein. Auch wenn grossteils keine „PolitikerInnen“ betroffen sind. Aber die Presse ist bereits im nächsten News-Zyklus. Schlagzeilen macht die letzten Tage Bundesrat Schmids zumindest äusserst ungeschickter Personalentscheid von vor einem Jahr und die Tatsache, dass er die Voruntersuchung gegen den künftigen Armeechef Nef seinen BundesratskollegInnen verheimlicht hatte. Auch ein Skandal. Im Vergleich aber, mit Verlaub gesagt, ein kleiner. Zu bewältigen – im Extremfall – durch den Rücktritt des BDP-Bundesrats.
Von frischen Fichen des DAP spricht dagegen kaum mehr jemand. Dabei ist dies ein Skandal des Systems, nicht einer Einzelperson. Weil es nicht möglich wurde, nach der Fichenaffäre klare Rahmenbedingungen und Kontrollen der Datensammelkrake zu formulieren und durchzusetzen.
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Zyniker könnten sagen: gut so. Denn eins ist klar. Hätte es den letzten Fichenskandal nicht gegeben, dann würde der Staatsschutz wohl noch heute den Grossteil der Informationen auf händisch getippten Karteikärtchen verwalten. Schon dannzumal war beim Staatsschutz von verschiedenen Projekten zur Modernisierung der Datenverwaltung die Rede gewesen. Allesamt aufgegeben. Faktisch war also der Skandal nicht nur ein Betriebsunfall. Sondern ein Betriebsunfall mit beträchtlichem Kollateralschaden. Nicht für den Betrieb der Wühlmäuse. Sondern für deren Opfer. Und wenn ein neuer Skandal aufgedeckt, die bestehenden Daten von Hand geprüft werden müssten, dann wäre das Resultat ein neuerliches „die Guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“. Oder in der Sprache der Computer-Branche gesprochen: eine qualitativ hochwertige Migration eines veralteten und schlecht erschlossenen Datenbestandes auf ein neues und besseres System.
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Es geht also nicht nur ums Aufdecken und Abklären, sondern ums Verhindern einer Fortsetzung. Darum ist diese Situation eine Lackmusprobe. Vorab für all jene, die sich aus modischen oder Marketing-Gründen das Label „liberal“ angeschnallt haben. Auch für das „Original“. Es reicht nicht, einen Dick Marty in den Reihen zu haben, unermüdlichen Kämpfer für Menschenrechte und gegen den Terror des Kampfs gegen den Terror. Nun ist die ganze künftige „Freisinnig Liberale Partei“ gefragt. Und die „Liberalkonservativen“ netter und ekliger Färbung gleich dazu. Ich bin gespannt auf Wortmeldungen?
Gerade heute, da nach 9/11 das Grundrecht auf Privatsphäre an und für sich oft ausser Kraft gesetzt wird, sind hier nicht sorgfältig abwägende Einlassungen sondern Klartext gefordert.
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Bevor ich in die Ferien entschwinde – das Reiseziel heisst „Schweiz“; schon fast bundesratstauglich – komme ich nicht umhin, den zweiten Teil dieser Kolumne meinem beruflichen Jahresschwerpunkt zu widmen: dem Projekt „die woche der migrantInnen.“ Vom 8. bis 14. September werden in der ganzen Schweiz Dutzende von Veranstaltungen von MigrantInnen und solidarischen SchweizerInnen stattfinden – als gemeinsamer Höhepunkt eine Grossdemo am 13. September in Bern. Das alles koordiniert von Solidarité sans frontières, konkret organisiert aber von vielen AktivistInnen. Und mit Leben gefüllt dann dank Deinem, dank ihrem Besuch, liebe LeserIn. Inspiration vermittelt unsere Website www.ohneuns.ch
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Diese Woche soll nicht einfach eine weitere „Integrationsveranstaltung“ werden. Denn dieser Begriff hat – auch wenn er von den meisten MigrantInnen noch immer mit Verve verteidigt und positiv verstanden wird – in den Händen der Schweizer PolitikerInnen einen unsäglichen Bedeutungswandel erfahren. Von links bis rechts wird von „Integration“ geschwärmt und „Integration“ eingefordert. Gemeint wird im Grundsatz meist nicht viel mehr als Anpassung, Assimilation. „die woche der migrantInnen“ soll in Reibung zum diesem Integrationsbegriff ein im Grundsatz ganz einfaches Statement setzen. Ein Statement, das auch den Titel der Kampagne bildet, die seit vier Jahren immer wieder mit kleineren und grösseren Aktionen Grundrechte und Respekt für MigrantInnen einfordert: „Ohne uns geht nichts.“
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In Frankreich streikten in den letzten Wochen und Monaten Sans-Papiers, wahrgenommen hierzulande fast nur im Welschland. Restaurants schliessen – weil sie ohne IIlegalisierte den Betrieb nicht aufrecht erhalten können. Würden in der Schweiz die über eineinhalb Millionen MigrantInnen plötzlich nicht mehr arbeiten, fehlten AHV und IV jährlich 6 Milliarden und der Schweiz 15 Milliarden Franken an Steuern. Nicht nur der Müll bliebe liegen. Würden es umgekehrt den in der Schweiz arbeitenden Sans-Papiers erlaubt, aus dem Schatten zu treten, ihren Aufenthalt zu regularisieren, wären zusätzliche Millionen in den Kassen der Sozialversicherungen die logische Folge.
Ja: nicht nur Gründe der Menschlichkeit gebieten es, allen Menschen, die in unserem Land leben, die Grundrechte zu gewähren. Die Menschlichkeit alleine wäre aber Grund genug.
Kolumne Grüne Gedanken zur Woche im P.S. vom 17.7.2008