Neustart – Erfahrungsbericht aus BundesbernLesedauer ca. 2 Minuten

Für alle Neugewählten im Bundesparlament sind die Bundesratswahlen der voraussehbare Höhepunkt in der Auftakt-Session. Dies war auch heuer nicht anders. Allerding kam die grosse Überraschungen mit der Affäre Zuppiger bereits vor einer Woche, die Spannung war definitiv kleiner als vor vier oder acht Jahren.

 Für mich als durchaus medienerfahrenen Neuling doch fast beängstigend war die enorme Präsenz von Medienschaffenden, Kameras und Mikrophonen am Morgen im Bundeshaus. Sollten sie alle gekommen sein, um einfach das Erwartete zu dokumentieren, den Entscheid über die Neuwahl für Calmy-Rey? Oder hatte sich nachts, weitab der Bellevue-Bar, doch noch Wesentliches ereignet? Nach kurzem Herumhören war mir aber bald klar: eine Überraschung wäre eine Überraschung gewesen.

Zusammenstehen

Wer ein Copyright auf das Wort «Konkordanz» hätte, wäre wahrlich ein reicher Mensch geworden in den letzten Tagen und Stunden. «Alle Parteien sind für die Konkordanz, aber es gibt keine Konkordanz darüber, was Konkordanz konkret bedeutet» formulierte es treffend im Einleitungsvotum unser grüner Fraktionschef Antonio Hodgers und erntete inmitten der förmlichen Stimmung viele Lacher von links bis rechts. Doch von Wahlgang zu Wahlgang veränderte sich auch die Stimmung im Nationalratssaal. War am Anfang noch eine Anspannung zu spüren, breitete sich mit der Zeit immer mehr Gelassenheit aus. Aber auch Befriedigung darüber, dass der Turnus der Abwahlen gebrochen werden konnte. Und es war nicht das Anti-SVP Bashing, das die Stimmung prägte: Die Angst vor der selbsternannten Volkspartei hat als Kit aller anderen Parteien zum Glück ausgedient. Stattdessen war jenseits aller mathematischen Formeln und bei aller grossen Inhaltlichen Breite zu spüren, dass gerade auch viele Neugewählte nach Bern gekommen sind mit dem Vorsatz, Lösungen zu suchen. Und um die richtigen Lösungen zu streiten: denn natürlich geht es weiterhin um Macht und darum, Mehrheiten für die je eigene Vorstellung zu finden, welche Weichenstellungen zukunftsweisend sind. Gerade im Hinblick auf die aktuelle Krisensituation.

SVP drehte sich um sich selbst

Die SVP ihrerseits drehte sich eher um sich selbst und die unverwundene Blocher-Abwahl. Doch die selbsternannten Superstrategen von rechts konnten diesmal nur in ihrem eigenen Sandkasten mit sich selbst spielen. Sie taten es nicht glücklich und merklich weniger selbstzufrieden, das sah man. Beim letzten Trotzantrag, Ueli Maurer statt Eveline Widmer-Schlumpf zur Bundespräsidentin zu wählen, da stimmte gar nur noch die Hälfte der eigenen Fraktion mit.

In diesem Sinne: Ein guter Tag für die Schweiz. Und vielleicht gar ein erster Schritt für einen Neustart in eine Phase der Politik, in der sich lösungsorientierte Kräfte verschiedener Richtungen nicht mehr die Linien aller Debatten von einer einzigen Partei aufdiktieren lassen. Ich hoffe, ich täusche mich nicht.

Balthasar Glättli, Nationalrat GRÜNE (Geschrieben fürs P.S. vom 15.12.2011)