ACTA Ja oder Nein? Gedanken zu Wissen, Macht und EigentumLesedauer ca. 5 Minuten

Die Schlagworte des Widerstands gegen ACTA haben mich rasch angesprochen. Freier Netzzugang, Kampf der Zensur, Stop der Aushebelung rechtsstaatlicher Prinzipien. Aber der aufkeimende Widerstand gegen das Copyright-Schutz-Abkommen ACTA liess auch Fragen offen: Ist es die Sorge der alten Liberalen um bürgerliche Freiheitsrechte, die bedroht sind, weil Unterhaltungs-Konzerne das Recht auf profitabler Verwertung geistigen Eigentums mit überstaatlichen Verträgen kompromisslos durchsetzen wollen? Oder ist das bloss die Revolte einer jungen Generation, die sich an raubkopierte Gratis-Kultur gewöhnt hat? Oder schliesslich billiger falscher Alarm einiger Weltverschwörungs-TheoretikerInnen, deren vielfältige Befürchtungen sich bei Lichte besehen in nichts auflösen?

HINWEIS: Ich sprach an der ACTA Demo (hier die Rede), Helvetiaplatz, 13h, Sa. 11. März 2012 (Facebook Event). Unterdessen hat sich auch die Erklärung von Bern kritisch zu ACTA geäussert und Amnesty International hat empfohlen, dem Abkommen nicht zuzustimmen.

Vermutlich ist es von allem ein wenig, aber auch viel mehr. Vermutlich endet eine seriöse Diskussion schliesslich mit der Frage, wie die Wissensökonomie und unser kapitalistisches System zusammenspielen: ob sie sich gegenseitig fördern, bloss aufeinander angewiesen sind oder gar Gegenspieler sind. Diese Frage ist zwar nicht einfach zu beantworten. Aber sie wird doch entscheidend die Entwicklung der nächsten Jahre prägen.

Edle Zwecke – gefährliche Mittel

In einem sind sich hoffentlich viele Linke und Liberale mit mir einig: Die Auseinandersetzung um Fragen der Urheberrechts-Abgeltung darf nicht dazu missbraucht werden, um Grundsätze des Rechtsstaats und die Privatsphäre auszuhebeln.
Doch leider ist die Gefahr eines solchen Missbrauchs real. Immer wieder werden vergleichbar problematische Massnahmen zur Debatte gestellt. Dient einmal der «Kampf gegen Terror» oder der Kampf gegen sexuelle Ausbeutung und Online-Pornografie als Begründung, kommt nun auch der Urheberrechtsschutz ins Spiel. Wie auch immer die Begründung ist: Es braucht Widerstand gegen Hausdurchsuchungen (digital via Bundestrojaner oder physisch vor Ort) ohne begründeten Verdacht oder gegen eine Pflicht der Internetprovider, die Kommunikation ihrer KundInnen auf Vorrat zu übewachen. Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Und der Wunsch, das Internet zu kontrollieren ist bei Lichte besehen so verständlich wie illusorisch. Mögen technische Massnahmen vielleicht den normalen Internetnutzer von kleinen Übertretungen abhalten, so ist umgekehrt klar: wer als Bösewicht die neuen Technologien beherrscht, wird weiterhin einen Ausweg finden, um sie nutzen zu können.

Mit den Kulturschaffenden zusammen – nicht gegen sie

Gleichzeitig ist für mich klar: Der Kampf um die Freiheit des Internets, gegen Zensur und Schnüffelauflagen für Internetanbieter kann nur zusammen mit den Kulturschaffenden und nicht gegen sie geführt werden. Zwar werden meist exemplarisch die grossen Unterhaltungskonzerne angegriffen, die ja auch tatsächlich Millionen verdienen – und viel zu verlieren haben, wenn digitale Kulturgüter wie Bücher, Musik und immer öfter auch Filme als Raubkopien gratis die Hand wechseln. Aber das Feindbild der Medienmultis unterschlägt, dass die Mehrzahl der Kulturschaffenden, hierzulande wie auf der ganzen Welt, noch immer vom Urheberrecht leben. Zwar ist die Figur des Autors, der Autorin schon vielfach tot gesagt worden – unter den aktuell herrschenden Bedingungen aber sind die AutorInnen genau so lange lebendig wie ihre Möglichkeit vorhanden ist, ihre Autorschaft auch in klingende Münze umzusetzen. Reich werden davon ja die allerwenigsten…
Wie wichtig das Copyright ist, wissen ja die Vertreter der freien Software selbst am besten: Copyleft nutzt ja eben gerade die Mechanismen des Copyrights selbst, um die Privatisierung geistigen Eigentums durch Dritte zu verhindern.

Allmende statt Vorgärtli

Der bekannte Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin hat (Rifkin 2007, S.318ff) präzise auf den springenden Punkt hingewiesen. Neben dem heute gültigen Begriff des Privateigentums gibt es auch einen – älteren und vielleicht gleichzeitig viel zukunftsweisenderen – Begriff des Gemeineigentums. Privateigentum dient dazu, anderen Personen das Recht zu verweigern, eine Sache zu nutzen. Gemeineigentum, wie wir es historisch aus der Allmend kennen, verbrieft jeder Person das Recht auf den Zugang und auf die Mitnutzung von etwas.
Vom Beispiel der Allmend her gedacht könnten vielleicht auch Überlegungen kommen, wie ein Gemeineigentum an Kultur neu gedacht werden könnte – in der Schweiz befasst sich ja sogar ein eigener Verein, Digitale Allmend (www.allmend.ch), damit. Grosse Fragen stellen sich, und es wird sicher noch viel Denk- und Überzeugungsarbeit brauchen, um ausgereifte Antworten darauf zu finden und in die Tat umzusetzen: Liegt die Lösung in einem Grundeinkommen für Kulturschaffende? Braucht es eine Kulturflatrate, welche die Kulturschaffenden angemessen entschädigt, ohne den Zugang zum Netz mit unverhältnismässigen Massnahmen einzuschränken?

Ich weiss die Antworten auf diese Fragen selbst noch nicht – sonst hätte ich sie heute formuliert. Aber eines weiss ich: Wenn der Widerstand gegen ACTA nicht nur den Kampf gegen Zensur und gegen Staatsschnüffelei unter dem Vorwand von guten Zwecken befeuert, sondern auch ein breites Nachdenken über einen neuen Begriff des Gemeineigentums einleitet, dann hat er sich auf jeden Fall gelohnt!

Balthasar Glättli, Nationalrat Grüne

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P.S: Zum Schluss noch ein weiterer Lektürehinweis: André Gorz hat sich (Gorz 2004) vertieft mit den Selbstwidersprüchen des Wissenskapitalismus befasst. Ein lesenswertes Buch!
Und hier noch ein Video als Gedankenanstoss:

Literatur
Gorz, A., 2004. Wissen, Wert und Kapital : zur Kritik der Wissensökonomie, Zürich: Rotpunktverl.
Rifkin, J., 2007. Access : das Verschwinden des Eigentums ; warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden, Frankfurt am Main: Campus-Verl.
Gorz, A., Vom totalitären Vorhaben des Kapitals. Notizen zu Jeremy Rifkins „The Age of Access“ im Freitag, 6.7.2001 (Online unter http://www.freitag.de/2001/28/01281101.php )