Am 1. Mai 2012 habe ich die Ehre, in Olten sprechen zu dürfen. Hier das Manuskript meiner Rede.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen
Herzlichen Dank für die Einladung, am 1. Mai in Olten zu euch sprechen zu dürfen. Ich möchte mit euch heute über ein Thema reden, das mich seit Jahren bewegt. Ein Thema, das mich vor mehr als zwei Jahrzehnten dazu bewogen hat, den Grünen beizutreten. Ein Thema, über das ich vor vierzehn Jahren meine erste 1. August-Rede gehalten habe, damals, als frischgewählter Stadtzürcher Gemeinderat.
Was hat mich alle diese Jahre nicht mehr los gelassen? Es ist die Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen. Ein Grundeinkommen für alle Menschen, unabhängig davon, ob sie arbeiten oder nicht.
Damals war die Forderung nach einem Grundeinkommen kein Thema, mit dem sich ein Parlament auseinandersetzte. Es war eine Utopie, ein Fixpunkt weit weg von der politischen Realität. Unterdessen ist diese Idee Tagesthema geworden, seit eine Volksinitiative für ein Grundeinkommen lanciert wurde. Die Unterschriftensammlung hat diese Tage begonnen.
Offen gesagt: Ich verfolge die Entwicklung mit einem zwiespältigen Gefühl. Die Idee des Grundeinkommens begeistert mich heute noch. Gleichzeitig wirft die Volksinitiative viele Fragen auf, auf die es bisher keine wirklich guten Antworten gibt.
Aber was hat mich an der Idee des Grundeinkommens so fasziniert? Und was begeistert mich heute noch?
Zuerst ganz einfach die Idee, dass jeder Mensch das Recht auf ein Leben in Würde hat. Ein bedingungsloses Recht. Ein Recht auf ein Leben in Würde, das heisst nicht nur Essen, ein Dach über dem Kopf, eine minimale Gesundheitsversorgung. Nein, das heisst auch das Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft: auf Information, auf Kultur, auf Mitsprache.
Zweitens bin ich überzeugt, dass wir in der Schweiz, als Volkswirtschaft, mehr als genug Reichtum schaffen. Dass ein Leben in Würde für alle in diesem Land möglich ist. Der Solidaritätsgedanke ist ja bereits in der Schweizer Bundesverfassung verankert. Dort steht in der Einleitung: «…dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen…» .
Es ist keine Geheimnis: Nicht nur die Schweiz schafft genügend Wohlstand für alle, sondern auch die Nachbarländer in Europa. Mit der technologischen Fortschritt gilt das sogar für die ganze Welt. Das Problem liegt bekanntlich wo anders. Gandhi hat es treffend einmal so formuliert: «Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.»
Der dritte Grund, warum mich das Grundeinkommens begeistert: Das Grundeinkommen räumt mit der Weltanschauung auf, dass nur bezahlte Arbeit etwas wert sei. Dass nur Lohnarbeit, die sich rechnet, effizienzsteigern, rationalisieren lässt, auch Arbeit ist, die diesen Namen verdient.
Ein absurder Gedanke, zumal wir in einer Zeit leben, in welcher der materielle Überfluss zur ökologischen Katastrophe beiträgt. In einer Zeit, in der die Einkommens- und Vermögensschere immer weiter auseinanderklafft.
Trotzdem sind heute wieder viele Politikerinnen und Politiker mit alten Rezepten unterwegs. Sie fordern etwa von den Menschen in Griechenland, aber auch von Menschen hier in der Schweiz mehr, länger und härter zu arbeiten.
Die Forderung mehr, länger und härter zu arbeiten ist gerade für jene Menschen ein blanker Hohn, die aus der Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind. Menschen, die nicht mehr gebraucht werden, Menschen, die als Ausschussware gelten. Ja man muss fast sagen: zum Abfall des Systems. Ein System, dass auf den Geld-Beziehungen aufbaut und nicht auf den Beziehungen der Menschen untereinander.
In den 80er Jahren gab es einen Spruch, der bei mir im Kopf hängen geblieben ist: „Zwecklos ist Widerstand“. Wer im kapitalistischen System keinen Sinn macht, wer nicht für den Gewinn eines Investors arbeitet, wer eben schlicht zwecklos ist, der oder die leistet Widerstand. Widerstand dagegen, dass alles, was zwischen Menschen passiert, nur noch in Franken und Rappen gemessen wird.
Doch auch wer von Grundeinkommen spricht, muss sagen, wie viel ein Mensch für ein Leben in Würde benötigt. Vom Leben ohne Geld oder mit wenig Geld, davon schwärmen vor allem diejenigen, die durchaus genug davon haben oder freiwillig für eine Zeit auf mehr Erwerb verzichten – im Wissen darum, dass sie dies rasch ändern können. Nur so kann ich mir erklären, dass es so abweichende Meinungen gibt, wie hoch das Grundeinkommen in der Schweiz ausfallen müsste.
Während wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für einen Mindestlohn von 4’000 Franken kämpfen, soll plötzlich ein Grundeinkommen von 2000 bis 2500 Franken ausreichen, um ein Leben in Würde zu ermöglichen? Und dies bei gleichzeitigem Wegfall von Versicherungsleistungen wie ALV oder IV?
Das nenne ich nicht Befreiung von der Arbeit, sondern Freistellung: direkt die Prekarität! Befreit werden in Tat und Wahrheit andere: die Firmen. Ein garantiertes Grundeinkommen hätte für sie den angenehmen Nebeneffekt, dass Löhne massiv sinken. Die Lohnkosten würden zu einem grossen Teil vom Staat subventioniert. Und wer mit dem zu geringen Grundeinkommen nicht leben kann, wäre zudem gezwungen, seine Arbeitskraft zum Dumpingtarif anzubieten. Darum ist es entscheidend, wie ein Grundeinkommen finanziert würde: von jedem mehr oder weniger gleich – wie heute die Krankenkassen? Das schlagen viele BefürworterInnen vor, und wollen die Mehrwertsteuer massiv erhöhen.
Ein zweiter Kritikpunkt, der gerade heute, am ersten Mai, dem Kampftag der ArbeiterInnen für faire Bedingungen, wesentlich ist: Wer sich die «Befreiung von der Arbeit» auf die Fahne geschrieben hat, wer nur an die Abschaffung der Erwerbsarbeit denkt, vergisst der Kampf für die «Befreiung in der Arbeit». Also der Kampf um anständige Arbeitsbedingungen, der Kampf um anständige Löhne, der Kampf um die Mitsprache und Mitgestaltung am Arbeitsplatz.
Ein letzter Kritikpunkt: Die ganze Diskussion um die Höhe des Grundeinkommens, trübt den Blick darauf, dass es auch andere Wege gibt, unseren gesellschaftlichen Reichtum allen zukommen zu lassen. Wege, die mehr Erfolg versprechen. Ich denke an den Ausbau des «Service Public». Für mich ist eine unentgeltliche soziale Infrastruktur auch eine Form von Grundeinkommen. Seien dies gute Spitäler, öffentliche Dienste wie ein bezahlbarer öffentlicher Nahverkehr oder gute und kostenlose öffentliche Schulen nützen allen. Wenn Bildung kostet, dann wird es immer so sein, das sie sich Menschen mit wenig Geld diese nicht leisten können.
Darum mein Fazit:
Zum Recht auf ein existenzsicherndes Grundeinkommen gehört ebenso ein Recht auf eine anständig bezahlte und selbstbestimmte Arbeit. Hier darf es kein wenn und aber geben. Die berechtigte Forderung für ein Grundeinkommen darf nicht gegen Mindestlöhne ausgespielt werden. Die Finanzierung eines Grundeinkommens darf nicht zu noch mehr Ungleichheit führen und zu versteckten Unternehmenssubventionen. Und die Höhe des Grundeinkommens müsste effektiv genug hoch sein, dass ein freier Entscheid für oder gegen Lohnarbeit möglich ist.
Das gute an einer Utopie ist, das sie uns eine klare Richtung vorgibt. Im Fall des Grundeinkommens ist dies die Würde des Menschen. Sie ist unser Ausgangspunkt und gleichzeitig unser Ziel. Sie ist unsere Motivation. Oder wie Joseph Beuys es einmal gesagt haben soll: «Die Würde eines Menschen kann nur sein Kampf um die Würde eines anderen Menschen sein.»
Kämpfen wir gemeinsam für die Menschenwürde! Eine andere Welt ist möglich.
Olten, 1. Mai 2012