Hier das Manuskript meiner Rede an der Demo vom 23.6.2012 gegen die Verschärfungen in der Asyl- und Migrationspolitik.
Wir schauen zurück, auf eine erschreckende Debatte im Nationalrat zum Asylgesetz. Und wir sind hier, weil wir eine andere Migrationspolitik wollen, Schutz für Bedrohte, Regularisierung für Sans-Papiers, offenere Grenzen – und offenere Herzen, statt Angstmacherei und Sündenbock-Politik.
Wir sind erschrocken. Bewegt. Aufgewühlt. Aber wir wissen auch: Es braucht nicht mehr Wut und Angst in diesem Land. Sondern es braucht mehr Mut, mehr Zuversicht und mehr Solidarität in diesem Land!
Wo stehen wir? Die Asyldebatte hat sich grundlegend gewandelt. Nicht Richtung Zukunft, sondern wieder hin zu einer düsteren Vergangenheit. Wir wissen, wie während Jahrzehnten nun die Asyldebatte funktionierte: Eine Mehrheit versuchte, die Guten von den Schlechten zu unterscheiden, die „echten“ von den „unechten“ Flüchtlingen.
Noch immer hört man diese Stimmen, sie rattern Zahlen herunter, wiederholen, dass nur 20% oder gar nur 10% der Asylsuchenden „echte Flüchtlinge“ seien.
Also Herr Müller, Herr Brand, Herr Blocher, Herr Pfister, Monsieur Luscher – you wanna talk numbers?! So let’s talk numbers! Schauen wir genau hin, wie das Asylsystem funktioniert. Die Hälfte der Gesuche werden hier nicht materiell behandelt, wir schauen nicht, ob die Menschen schutzwürdig sind oder nicht – weil wir sie im Dublinverfahren an unsere Nachbarländer zurückschicken können. Von jenen Gesuchen, die wir in der Schweiz wirklich prüfen, hinschauen, ob die Menschen Schutz brauchen, da werden über 70% der Gesuche positiv beurteilt – und das mit dem heutigen Gesetz, das doch von den Rechten bereits neunmal massiv verschärft wurde.
Ja, und genau darum, weil sie dies eigentlich wissen, hat sich eine neue Mehrheit formiert, welche sich bedroht fühlt nicht mehr vom Missbrauch, sondern von etwas ganz anderem: von der Ankunft bedrohter Menschen und von der Tatsache, dass diese bedrohten Menschen heute als Flüchtlinge anerkannt werden. Diese Mehrheit will nun diese echten Flüchtlinge mit einer simplen Einengung des Flüchtlingsbegriffs zu unechten Flüchtlingen umdefinieren. Und sie mit der Abschaffung des Botschaftsasyls dafür sorgen, dass ein alternativer Fluchtweg, der überproportional von Frauen in Anspruch genommen worden war, geschlossen wird.
Wir reden hier immer wieder von Flüchtlingen aus Eritrea, und viele Menschen, die wissen gar nicht, was in Eritrea los ist. Dabei sagen dies nicht nur NGO wie amnesty international, sondern auch die USA oder die US Organisation Freedom House: Wenn wir die Standards an politischer Freiheit, an Pressefreiheit anschauen, dann ist Eritrea das Nordkorea Afrikas. Wir sprechen nicht einfach von Menschen, die eine bessere Zukunft suchen, sondern von Menschen, die in einer schlimmen Diktatur leben!
Und darum macht mir der Wandel der Asyldebatte Angst. Natürlich hören wir noch immer die schrillen Töne der letzten Jahre: „Missbrauch, Missbrauch, Missbrauch“. Aber dumpf darunter hören wir auch das alte Lied, das schon im zweiten Weltkrieg das Motto der Schweiz war, damit wir nicht zuviele bedrohte Menschen aufnehmen mussten. Das alte Lied mit dem Titel „Das Boot ist voll“.
Ist das Boot voll? Sind wir in der Situation von Griechenland, mit über 700’000 Asylsuchenden, die auf ein Verfahren warten? Sind wir in der Situation jener afrikanischen Länder, die, obwohl es ihnen selber schlecht geht, Hunderttausende von Flüchtlingen aufnehmen müssen? Es ist offensichtlich: das Boot ist noch lange nicht voll. Die Asylsuchenden und Flüchtlinge sind weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Wir höhlen das Asylrecht aus, und das ganz ohne Not!
Ja, Ernst Ferstl hat es treffend zusammengefasst, als er sagte: «Es gibt zu viele Flüchtlinge, sagen die Menschen. Es gibt zu wenig Menschen, sagen die Flüchtlinge.»
Und wenn nun einige PolitikerInnen die Verschärfungen damit begründen, dass nur so die Akzeptanz des Asylrechts gerettet werden könne, dann fürchte ich: erst wenn sie den letzten schutzsuchenden Menschen abgeschreckt oder zurückgeschafft haben, werden sie merken, dass man so das Asylrecht nicht retten kann!
Kämpfen wir dafür: Dass das Asylgesetz so verändert wird, dass es wieder seinen Zweck erfüllt – nämlich, bedrohte Menschen zu schützen, und nicht Asyl-Suchende zu verelenden und Flüchtlinge abzuschrecken.
Kämpfen wir dafür: Dass die Mauern um die Europa verkleinert werden, dass eine offener Migrationspolitik die Diskriminierung aller Menschen ohne EU-Pass überwindet.
Kämpfen wir gegen die Diskriminierung gegen Menschen ohne Schweizer Pass in unserem Land. Kämpfen wir dafür, dass statt Integrations- und Anpassungszwang für AusländerInnen eine Politik der wirklichen Teilhabe aller Menschen in diesem Lande möglich wird. Und kämpfen wir dafür, dass der grosse Demokratieskandal unseres Landes endlich überwunden wird: dass nämlich ein Drittel der SteuerzahlerInnen hier, die Ausländerinenn und Ausländer, auch nach Jahren und Jahrzehnten kein politisches Mitsprache- und Entscheidungsrecht haben.
Ja, es gibt noch viel zu tun. Und auf diesem Weg braucht es nicht nur die Politikerinnen und Politiker, sondern engagierte Menschen wie euch.
Wir brauchen keinen Rettungschirm für die Banken in der Schweiz – aber was wir brauchen, das ist ein Rettungsschirm für die Flüchtlinge, einen Rettungsschirm für die Menschlichkeit. Ich zähle auf euch!