Unheimliche Patrioten 2.0Lesedauer ca. 4 Minuten

Die Fälle des Zürcher SVP-Schulpflegers A.M. und des SVP-Mitglieds B.M. haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit geweckt. Twitter und Facebook trugen nach aussen, was an einigen Stammtischen offenbar so gang und gäbe war, dass die Beteiligten sich keine Gedanken mehr darüber gemacht haben. Es wurde deutlich: währenddem sich die bürgerliche Mitte auf schweizerischer Ebene im Bereich der Asyl-, Migrations- und Einbürgerungspolitik immer stärker auf SVP-Linie bewegt, hat die SVP selbst weiterhin das alte Problem: Die Türen nach rechts aussen sind offener, als ihr offiziell lieb sein kann. TALK TÄGLICH zum Thema Kristallnacht-Twitterer und B.M. mit mir, Alfred Heer und Manuel Nappo

Überraschend allerdings ist weniger das periodisch wiederkehrende Problem der selbsternannten „Volkspartei“ mit einer rechts-aussen Klientel, für welche die Unterscheidung zwischen sich und den anderen, zwischen „Schweizern“ (auf dem Papier) und „Eidgenossen“ (im Blut) Grundlage des Selbstverständnisses ist. Ganz offensichtlich fühlen die Kollegen von B.M. sich selbst in der SVP nicht als Minderheit, sondern haben das Gefühl, hier bei den Parteimitgliedern Gesinnungsgenossen zu haben:

Erschreckend für mich persönlich ist vielmehr, mit welcher Offenheit heute Positionen vertreten werden, welche vor Jahren noch fast durchwegs in anonymen Schreiben geäussert wurden. Seit Jahren bin ich in der Asylpolitik engagiert und darum auch heftige Reaktionen gewohnt. Geändert haben sich diese über die Jahre genauso wenig wie die geäusserten Vorurteile oder Beschimpfungen. Bloss werden sie heute oft mit vollem Namen unterzeichnet. Das zeigt mir, dass der Grund für die quasi-öffentlichen Twitter- und Facebook-Entgleisungen vermutlich nicht bloss mangelnde Medienkompetenz ist. Entsprechende Positionierungen werden – kein Wunder, nach jahrelanger Propaganda von rechts aussen – offenbar höchstens als zugespitzte Form einer breit akzeptierten Argumentation aufgefasst und darum ohne Nachdenken auch öffentlich gemacht.

Fehlendes Geschichtsbewusstsein

Dass sich die Wahrnehmung so sehr verschoben hat, hat auch damit zu tun, dass zuviele bürgerliche Parteien heute eher den Windschatten der SVP suchen, statt eine eigene Gegenposition zu entwickeln. Auf die Vorschläge von rechts wird mit wenig gesundem Menschenverstand, mit wenig liberaler Prizipienfestigkeit reagiert, und Geschichtskenntnisse sind offenbar ein Luxus. So haben die Fraktionsmitglieder einer sich selbst „liberal“ nennenden Partei im Zürcher Kantonsrat vor knapper Wochenfrist ernsthaft überlegt, eine Forderung der SVP als Postulat zu unterstützen, die genau diese Unterscheidung zwischen „Urschweizern“ und „Eingebürgerten“ als statistische Kategorie verankern wollte. Immerhin, einige der glp-ParteikollegInnen aus der Stadt Zürich haben ebenso postwendend und klar reagiert – ich hoffe, sie bleiben nicht alleine.

Protest allein nützt aber nichts, und ich möchte auch nicht bloss die Empörung bewirtschaften. Darum habe ich hier zur Vertiefung einige Literaturhinweise zu den Hintergründen und der Geschichte der „unheimlichen Patrioten“ aufgelistet. Es könnte eine nützliche Lektüre sein nicht nur für diejenigen, denen für eine „versachlichte Diskussion“ offensichtlich die historischen Grundlagen fehlen, sondern auch für alle, welche sich dafür einsetzen wollen, dass die aktuellen Ereignisse in der SVP nicht bloss als Einzelfälle unter den Tisch gewischt werden können.

Hier die Literaturhinweise:

Ebenfalls lesenswert und in aller Kürze viel Information vereinigt das folgende Buch: