In meiner kurzen 1. Mai-Rede in Thun kritisierte ich die Ellbogengesellschaft: „Wenn wir wollen, dass das, was wir zusammen erreichen, nicht bloss die Summe all unserer schwächsten Momente ist, sondern die gemeinsame Stärke, dann dürfen wir uns nicht spalten lassen.“ Dann schlug ich den Bogen zur aktuellen Asylgesetzverschärfung und rief die Zuhörer auf: „Kämpfen wir nicht gegen Sündenböcke, sondern für ein solidarisches Miteinander, eine grünere und sozialere Schweiz.“ Hier das Redemanuskript.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Für die Einladung und euren Empfang in Thun danke ich euch ganz herzlich.
Wer, wenn nicht die Arbeiterbewegung, verkörpert den Glauben an gelebte Solidarität, steht für das Wissen, dass jede und jeder Einzelne von uns schwach ist – wir gemeinsam aber stark! Ja, das wissen wir! Aber wir wissen auch, wenn wir dieses Wissen nur in Sonntagsreden pflegen, wenn wir zurück dann im Alltag, am Arbeitsplatz doch nur die Konkurrenz pflegen, ellbögeln, jeder für sich schaut: dann werden wir auseinanderdividiert. Und jeder, der einmal eine Schwäche zeigt, wird am Wegrand einsam zurückgelassen.
Ja, auch heute gilt, für uns alle, die wir hier sind:
Wenn wir wollen, dass das, was wir zusammen erreichen, nicht bloss die Summe all unserer schwächsten Momente ist, sondern die gemeinsame Stärke – die Stärke eines Teams, das jede und jeden als ganzen Menschen mitträgt, und von jedem auch mit profitiert, …wenn wir das wollen, dann dürfen wir uns nicht spalten lassen!
Eine der tiefsten Spaltungen, die auch ein düstere Geschichte hat, das ist die Spaltung zwischen Fremden und Eigenen, zwischen Ausländern und Schweizern, zwischen Menschen, die keine Arbeit finden, und solchen, die in Lohn und Brot stehen.
Diese Spaltungen wird bewusst vorangetrieben von den rechten, neoliberalen Parteien aller Couleur. Nicht der profitorientierte Unternehmer sei schuld am Lohndumping, so wollen sie uns weismachen – sondern der Arbeiter ohne Schweizer Pass, der doch auch nur seine Familie ernähren will. Nicht der Immobilienspekulant sei schuld an den hohen Mieten, so wollen sie uns weismachen – sondern die ausländische Pflegefachfrau, ohne die unsere Spitäler gleich die Türen zumachen könnten. Das behaupten sie!
Aber dann und wann wird es den selbsternannt Christlichen, den selbsternannt Freisinnigen, den Zündlern mit Spaltung, Ausgrenzung und Fremdenhass auch plötzlich zu heiss unter den Füssen, wenn sie merken: «Die Geister die ich rief, die wird ich nicht mehr los!»
Doch was tun die Zauberlehrlinge? Löschen sie die Glut, die sie angefacht haben?
- Sorgen sie für anständige Mindestlöhne, die einer Familie zum Leben reichen?
- Sagen sie ja zu einer Energiewende, zu einer grünen Wirtschaft, die vielleicht einige Strombarone zum Umdenken zwingt, aber zum Wohle aller zehntausende neue, sinnvolle, grüne Jobs schafft?
- Kämpfen sie für eine massvolle Lohnschere von 1 zu 12, die Wettbewerb und Anstand, Leistungsgedanke und Fairness zugleich in jedem Unternehmen festschreibt?
- Ermöglichen sie ein Mietrecht, das die MieterInnen schützt, und nicht den Profit der Spekulanten?
- Stehen sie ein für angemessene AHV-Renten, wie es die AHV-Plus initiative will?
NEIN, im Gegenteil: Statt die Hand für Lösungen zu bieten, treiben sie die Spaltung weiter voran, suchen neue Sündenböcke. So soll nun am 9. Juni zum elften Male das Asylrecht verschärft werden, und diesmal ist es nicht einmal mehr, wie angeblich die zehn Male zuvor, der ewige Kampf gegen den Missbrauch, den sie im Gesetz verankern wollen, nein:
Diesmal soll das Gesetz so verschärft werden, dass es wirkliche Flüchtlinge trifft. Flüchtlinge, die bisher zu Recht in der Schweiz Schutz fanden:
- weil sie verfolgt waren als politisch Oppositionelle und als GewerkschafterInnen,
- weil sie gefoltert wurden als Deserteure in Militärdiktaturen, die Dienstverweigerer als politisch Widerständige vernichten wollen
Diese Deserteure sollen nun vom Asyl ausgeschlossen werden, diesen Flüchtlinge wird nun die Möglichkeit genommen, in Schweizer Botschaften Asylanträge zu stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Spaltung beginnt immer zwischen den Schwächsten und den etwas weniger Schwachen – und wenn die Schwächsten dann mal abgespaltet sind, dann kommt die nächste Schicht dran.
Wie bei einer Zwiebel sehen wir erst am Schluss den wirklichen Antrieb.
- Da ist der wirkliche Antrieb: Nicht Asyl-Missbrauch zu verhindern, sondern Flüchtlinge abzuwehren.
- Dort ist der wirkliche Antrieb: Nicht Sozial-Missbrauch zu verhindern, sondern die Sozialwerke sturmreif zu schiessen, auszuhöhlen, abzubauen.
Alles das können sie, wenn wir uns spalten lassen. Wenn wir nach unten treten und nach oben bücken. Nichts davon können sie, wenn wir zusammenstehen.
Sagen wir NEIN zu Spaltung, Hass und Fremdenfeindlichkeit – und JA zur Solidarität. Kämpfen wir nicht gegen Sündenböcke, sondern für ein solidarisches Miteinander, eine grünere und sozialere Schweiz.
Weil wir mit unser Verfassung wissen:
«Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen.»