Schnüffeleien. Blick zurück, lange vor Prism und TemporaLesedauer ca. 6 Minuten

Die vom Whistleblower Edward Snowden aufgedeckten Schnüffelprojekte der USA (Prism) und Grossbritanniens (Tempora) beherrschen die Schlagzeilen. Unerhört! Schockierend! So kommentieren viele Politiker in der Schweiz und in anderen europäischen Ländern. Doch sind die Geheimdienstaktivitäten wirklich so unerwartet? In Zeiten von Twitter und Facebook verbreiten sich News in Windeseile über das Internet. Weniger prominent sind dagegegen die Blicke zurück, in die Vergangenheit, in die Archive.

Der Spiegel hat es für Deutschland getan: einen Blick zurück in die Schnüffelvergangenheit. Und die Berichterstattung darüber. Er konnte dafür schlicht die Spiegel-Titelgeschichte vom 20. Februar 1989 aus dem Archiv holen.

Schon 1989 war NSA auf dem Spiegel-Titel

Der Artikel, immerhin fast ein Vierteljahrhundert alt, tönt beklemmend aktuell. Und der folgende Ausschnitt zeigt gleichzeitig, dass die Empörung zumindest der politischen Verantwortlichen heute ziemlich geheuchelt ist: Wer immer zwischen Nordsee und Alpen zum Telephonhörer greift, muß gewärtig sein, daß auch die NSA in der Verbindung ist – Freund hört mit. Das war schon so, bevor Computer die Nachrichtentechnik veränderten.

Hermann Höcherl (CSU), Innenminister im letzten Kabinett Adenauer, wußte um die Praktiken der Amerikaner.

Abhören? Wir, die Deutschen? „Das hatten wir gar nicht nötig“, so Höcherl heute, „wenn wir was wissen wollten, haben wir’s den Amerikanern gesagt.“ (Spiegel, 20.2.1989)

Im Spiegel-Artikel wird auch aufgeführt, dass die NSA durchaus nicht nur zu militärischen Zwecken Daten sammelt und auch Geschäftsinformationen ausspioniert.

Echelon, SATOS-3/Onyx…

Gehen wir ein Jahrzehnt näher zur Gegenwart, kurz vor der Jahrtausendwende. Es ist ein Jahrzehnt nach dem Mauerfall und dem Ende der kommunistischen Bedrohung – und gleichzeitig noch vor den Terroranschlägen des 11. September 2001, die seither zur Generalrechtfertigung aller denkbaren Verletzungen der Privatsphäre dienen. In dieser Zeit machte das Echelon-System ähnliche Schlagzeilen wie heute Prism/Tempora. Telepolis hat ein Dossier mit einigen Artikeln zu Echelon zusammengestellt. Darin findet man auch den Hinweis auf den Echelon-Bericht des Untersuchungsausschusses des Europa-Parlaments. Er wurde am 5. September 2001 mit klarem Mehr verabschiedet. Auch in der Schweiz macht der Nachrichtendienst nicht Halt vor dem Abhören von Kommunikation. Die Geschichte um die Abhöranlagen in Zimmerwald, die den Namen „Onyx“ tragen fasste Urs-Paul Engeler 2005 zusammen. In zwei Berichten hat die Parlamentarische Geschäftsprüfungsdelegation sich 2003 und 2007 zu Onyx geäussert:

  • Satellitenaufklärungssystem des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (Projekt «Onyx») Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte vom 10. November 2003 Download PDF
  • Rechtmässigkeit und Wirksamkeit des Funkaufklärungssystems «Onyx» Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte vom 9. November 2007 Download PDF

Die Affäre um den CIA-Fax

Im Januar 2006 beherrschte die CIA-Fax Affäre die Schlagzeilen. Mit dem Onyx-System hatte der Schweizerische Geheimdienst ein Fax zwischen der ägyptischen Botschaft in London und dem Aussenministerium in Kairo abgefangen. Darin war die Rede von geheimen CIA-Gefängnissen in Rumänien, der Ukraine etc. zur Verhörung von mutmasslichen Al Kaida-Mitgliedern. Die Öffentlichkeit kümmerte sich primär um die Frage der mutmasslichen Foltergefängnisse. Wenig später wurde bekannt, dass die angeblich hochgeheime ägyptische Information auf einen wenige Tage zuvor im Internet veröffentlichten Bericht der amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch abstellte.

Die Militärjustiz setzte ihrerseits alle Hebel in Bewegung, um das Loch im Geheimdienst zu finden. Nicht an die Hand nahm man dagegen Verfahren gegen die Tätigkeit von CIA-Agenten in der Schweiz selbst, wie Niklaus Ramseyer in der BaZ am 8.2.2007 unter dem Titel „Justiz bekämpft fast nur die Enthüller der CIA-Affäre“ schrieb:

ln der CIA-Affare will die Militarjustiz jetzt Schweizer Joumalisten und auch Angestellte des Bundes vor Gericht ziehen. Gegen die Umtriebe der US-Agenten in unserem Land geschieht hingegen wenig: Justizminister Blocher blockiert die Verfahren. (BaZ, 8.2.2007)

Auch im Inland wird weiter geschnüffelt…

Genau wie bei Prism die US-Amerikaner betonen die Schweizer Behörden bei Onyx, dass Schweizer Bürger nicht überwacht würden. Oder jedenfalls nur ausnahmsweise – im Bericht von 2003 sprach die GPDel von etwa 8% der Aufträge. Gleichzeitig stellte sie fest, dass für diese Überwachung keine Rechtsgrundlage bestehe:

Nun steht es für die GPDel ausser Zweifel, dass jede Kommunikationsabhörung einen Zwang mit sich bringt, sobald sie einen Verstoss gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens bildet. Diese Art von Verstoss ist dem DAP im internen Recht untersagt, und nichts weist darauf hin, dass der Gesetzgeber bereit gewesen wäre, ihn jenseits der Grenzen zu gestatten. Die im Ausland vorgenommenen Abhörungen können auch nicht von der «polizeilichen Generalklausel» abgeleitet werden, die es dem Bundesrat erlaubt, auf der unmittelbaren Grundlage der Bundesverfassung Sicherheitsmassnahmen anzuordnen. Massnahmen dieser Art dürfen von der Regierung lediglich im Falle von «ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr» (Art. 36 Abs. 1 BV) oder von «unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit» (Art. 185 Abs. 3 BV) ergriffen werden. Die der EKF vom DAP erteilten Aufträge erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Für die GPDel gründen die von Onyx im Auftrag des DAP ausgeführten Tätigkeiten gegenwärtig nicht auf einer ausreichenden formellen Rechtsgrundlage. Diese Beurteilung wird im Übrigen vom Bundesamt für Justiz in einem vom Generalstab angeforderten Gutachten vom April 2003 geteilt.

Abgebrochen wurde diese illegale Schnüffelei wohl nie. Der Bundesrat versuchte, ihr mit der BWIS-II Vorlage eine Gesetzesgrundlage zu geben, sie zu legalisieren. Allerdings wies das Parlament diese BWIS-II Vorlage in einem mutigen Entscheid zurück. Nun will der Bundesrat sich für den zusammengelegten neuen Nachrichtendienst des Bundes NDB mit einem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) gleich noch zusätzliche Kompetenzen holen – u.a. für den Einsatz von Staatstrojanern.

…und fichiert.

Ebenfalls eine kurze Zeit lang für Aufregung sorgte die Bekanntgabe, dass der Inlandgeheimdienst DAP (Dienst für Analyse und Prävention) wieder wie anno dazumal Fichen en masse anlege. Ich war selbst eine der fichierten Personen in der ISIS-Datenbank, weil ich eine Bewilligung für eine – notabene friedlich verlaufene – Demo eingegeben hatte. Im Bericht der GPDel zur Datenbearbeitung im Staatsschutzinformationssystem ISIS (PDF) zitiert die Delegation bezeichnenderweise aus dem Schlussbericht des Sonderbeauftragten für Staatsschutzakten des Bundes von 1996, René Bacher:

Die Nachrichtenbeschaffung entbehrte der Eigenschaft, Mittel des Staatsschutzes zu sein, sie wurde Selbstzweck im Sinne einer Vorratshaltung an Informationen, ohne dass diese später zu irgend einem Zeitpunkt und zu irgend einem Zweck verwendet wurden.

Dass Daten gesammelt werden und geschnüffelt wird – im gesetzlichen Rahmen und ausserhalb, in den USA, Grossbritannien, aber auch in der Schweiz – das steht ausser Diskussion. Die Begründungen dafür wechseln zwar: Waren es früher die bösen Kommunisten und deren vierte Kolonne im Inland, so dienen heute Terrorismus, Waffen- und Drogenhandel als Argumente für den Staatsschutz. Und die technischen Mittel wurden um ein Vielfaches effizienter.

Geblieben ist die Fiktion einer kontrollierten, normalisierten Gesellschaft. Die Irrmeinung, wenn man nur die Freiheit aller genügend einschränke, könne man dafür zusätzliche Sicherheit eintauschen. Und die Bereitschaft der meisten PolitikerInnen und breiter Bevölkerungskreis, nach der ersten, grossen Empörung über Geheimdienstexzesse doch wieder den Geheimdiensten selbst die Verantwortung dafür zu überlassen, welche Daten sie von wem weshalb sammeln dürfen. Bleibt das auch nach Snowden so? Ich hoffe: nein.