Hier mein Votum gegen die Ecopop-Initiative im Namen der Grünen am 10.6.2014 (Manuskript).
Wir Grünen sagen einstimmig NEIN zur Initiative «Stopp der Überbevölkerung» und bitten Sie, dies auch zu tun. Die Initiative löst kein einziges Umweltproblem. Darum findet sie auch keine Unterstützung bei den Umweltverbänden.
Die Umweltbewegung, als deren Teil auch wir Grünen uns verstehen, hat das historische Verdienst, allen bewusst zu machen, dass die Erde kein grenzenloses Reservoir an Rohstoffen hat und kein Abfallkübel ohne Boden ist sondern ein Raumschiff mit limitierten Ressourcen. Wir Grünen stehen aber in jener Tradition der Ökologiebewegung, die immer auch darauf verweist, dass die Rede von der Menschheitsbedrohung nicht dazu führen darf, dass man auf diesem Raumschiff den «Unterschied zwischen zwischen Erster Klasse und Zwischendeck, Kommandobrücke und Maschinenraum» (Enzensberger) verleugnet.
Ganz klar wenden wir uns Grünen gegen die sogenannte «Rettungsboot-Ethik», welche nicht nur die Zuwanderung begrenzen, sondern auch in neo-kolonialistischer Manier unser Wohlstandsniveau sichern will – indem Menschen anderer Kontinente abgeschreckt und «verhütet» werden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Faktoren, die zur Verringerung der Geburtenraten führen, eine gute Basis-Gesundheitsversorgung, eine längere Lebenserwartung, eine geringere Säuglingssterblichkeit und eine bessere Ausbildung der Frauen sind. Diese Effekte können überall beobachtet werden, ganz unabhängig davon, ob man Kondome vom Himmel regnen lässt, Anreize für Sterilisationen setzt oder nicht. Peak Child ist erreicht, die weltweite Bevölkerungskurve schwächt sich ab – und die wahre Bedrohung für unsere globale Umwelt sind nicht jene ärmsten, die sich heute noch stärker vermehren, sondern die Lebensweise in den Industriestaaten, die eine immer geringere Geburtenrate haben. Die reichsten 10% der Weltbevölkerung verbrauchen 30% des fossilen Kohlestoffs – die ärmsten 30% der Weltbevölkerung verbrauchen dagegen weniger als 10%. Sind sie es, die zu viele sind?! Sind zu viel immer die anderen…?!
Unsere grüne Überzeugung ist, dass Natur und Rohstoffe ein Gemeingut aller Menschen sind und alle auf dieser Welt ein gleiches Recht haben, an den natürlichen Ressourcen teilzuhaben. Dann hat es auch genug für alle: «Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse – aber nicht für jedermanns Gier» um Gandhi zu zitieren.
Die Initianten stellen sich selbst gerne als Tabubrecher dar, welche mit ihrem Kampf gegen die Einwanderung angeblich unangenehme Wahrheiten aussprechen, die niemand sonst zu sagen wagt. Nun, mich erinnert das ein wenig an die Politiker der grössten Partei in diesem Land, die sich auch als grosse Tabubrecher, als Lautsprecher der unterdrückten Volksstimme gebärden…
Dabei wäre es wichtig, wirklich ein Tabu zu brechen. Wir müssen ernsthaft der Tatsache ins Auge sehen, dass immer mehr Wirtschaftswachstum nicht immer mehr Wohlstand bringt – und dass für das Wohlbefinden aller die Verteilung des Wohlstands ebenso wichtig ist wie das durchschnittliche BIP. Wir leben materiell tatsächlich über dem gesunden Mass. Wir Grünen kritisieren deshalb die einseitig auf das wirtschaftliche Wachstum ausgerichtete Politik des Bundes. Wir fordern die Senkung des ökologischen Fussabdrucks und somit des Ressourcenverbrauchs der Schweiz. Genau dies ist das Ziel unserer Initiative «für eine grüne Wirtschaft». Parallel dazu fordern die Grünen einen strikten Kulturlandschutz, die Durchsetzung der Zweitwohnungs-Initiative ohne Abstriche und eine bessere Abstimmung von Raumentwicklung und Verkehr. Nur so lässt sich die Lebensqualität in der Schweiz konkret verbessern. Wer dagegen Jahresaufenthalter durch Grenzgänger ersetzt – was die reale Konsequenz der Ecopop-Initiative wäre – bekämpft weder Lohndumping noch den Umweltverbrauch.
Zum Schluss eine etwas abstrakterer Gedanke:
Überlegen Sie, wenn Sie über diese Initiative abstimmen ganz zuerst, wie sehr nur schon der Begriff der «Bevölkerung» unsere Wahrnehmung und unser Denken prägt. Er lenkt den Blick auf die Anzahl der Menschen innerhalb bestimmter geografischer Grenzen – und er blendet gleichzeitig alle Unterschiede zwischen ihnen aus. Und der Begriff der «Bevölkerung» konstruiert gleichzeitig einen angeblich naturgegebenen Unterschied zwischen dem eigenen Volk und den «Fremden».
Die Grünen sagen NEIN zu Ecopop, und wir lehnen auch den Antrag auf Ungültigkeit sowie den Einzelantrag der BDP ab, die Initiative zu einer erneuten Prüfung der Gültigkeit an die Kommission zurückzuweisen. Wir gestehen zu, dass die Frage der Gültigkeit in besten Treuen so oder anders bewertet werden kann. Wir sind offen dafür, uns für die Zukunft Gedanken zu machen über Umfang und Grenzen der Volksrechte und über klarere Ungültigkeitskriterien. Allerdings sollte eine solche Änderung nicht am Beispiel einer konkreten Initiative im Zweitrat geschehen.
Wir bekämpfen Ecopop als Grüne mit politischen Argumenten. Denn uns ist Grüne Politik immer auch humanistische Politik, getreu dem früheren Slogan der Grünen: Ökologisch konsequent, sozial engagiert, global solidarisch.
Balthasar Glättli