«Nicht jeder Unterschied ist eine Diskriminierung»Lesedauer ca. 4 Minuten

E-Mail-Debatte in der NZZ am Sonntag vom 14. Dezember 2014: Gerhard Pfister will die Heiratsstrafe für Ehen und eingetragene Partnerschaften eliminieren. Balthasar Glättli fordert dagegen die Individualbesteuerung.

Balthasar Glättli: Geschätzter Kollege, diesen Mittwoch erlebten wir im Nationalrat einen seltenen Fall. Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann – heisst es ja eigentlich. Die CVP aber beschwor im Ratssaal sowohl die traditionelle Ehe wie die steuerliche Gleichbehandlung der eingetragenen Partnerschaft. Was gilt nun?

Gerhard Pfister: Wir haben gar nichts beschworen. Sondern nur eine vom Bundesrat unterstützte CVP-Initiative diskutiert und dann darüber entschieden. Dabei war und ist es immer klar, dass die eingetragene Partnerschaft ebenfalls von der sogenannten Heiratsstrafe, der steuerlichen Schlechterstellung, befreit wird. Deshalb zielt die Kritik an der CVP-Initiative ins Leere.

Balthasar Glättli: Ich nehme in dem Falle wohl Ihren Parteipräsidenten zu ernst – das tut mir leid, da lasse ich mich gerne korrigieren. Allerdings bleibt eine inhaltliche Differenz: Wir Grünen sind der Meinung, dass niemand aufgrund der Lebensform diskriminiert werden sollte: sei dies nun ein homosexuelles Paar, das die Partnerschaft einträgt, ein heterosexuelles Paar, ein Konkubinatspaar oder jemand, der alleine lebt. Da soll das Steuerrecht nicht dreinreden. Die CVP dagegen sieht das offenbar ganz anders.

Gerhard Pfister: Natürlich sehen wir das anders. Wir haben seinerzeit ausdrücklich unter der Bedingung der eingetragenen Partnerschaft zugestimmt, dass es einen Unterschied geben soll zwischen der eingetragenen Partnerschaft und der Ehe. Nicht jeder Unterschied ist eine Diskriminierung. Genauso soll es Unterschiede geben, auch in steuerlicher Hinsicht, zwischen Konkubinat und eingetragener Partnerschaft. Sonst hätte man letztere Institution gar nicht einführen müssen. Die CVP will keine Individualbesteuerung. Sie schon?

Balthasar Glättli: Ja, die Individualbesteuerung möchten die Grünen, und ich bin persönlich auch dafür. Wie rechtfertigen Sie es denn, dass der Staat mit den Steuern eine Lebensform bevorzugen oder benachteiligen soll? Mir scheint das einer der stossenderen Fälle, wo Ideologie über Steuerpolitik gemacht wird.

Gerhard Pfister: Ideologie? Menschenrecht! Schliesslich hält Artikel 17 der Menschenrechtskonvention die besondere Schutzwürdigkeit von Ehe und Familie fest. Daran hat sich die CVP bei der Formulierung ihrer Initiative orientiert. Von dieser besonderen Schutzwürdigkeit sind wir in der Schweiz noch sehr weit entfernt. Aber unsere Initiative geht doch in diese Richtung, ganz im Gegensatz zum Gegenvorschlag der Parlamentsmehrheit. Wenn Sie der radikalen Individualisierung der Steuern das Wort reden, müssten Sie doch konsequenterweise auch in Fragen der staatlichen Hilfen einen radikalen Liberalismus umsetzen. So weit würden Sie doch nicht gehen?

Balthasar Glättli: Ich bin durchaus bereit, gerade was zum Beispiel die Steuern betrifft, sehr liberal zu sein. So habe ich mich – im Gegensatz zu Ihnen – für die Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für die AHV» eingesetzt, weil ich die Erbschaftssteuer im Vergleich zu anderen Steuern als liberalste Steuer betrachte, sie besteuert nämlich nicht eine Leistung, sondern den unverdienten Zufall, eine Erbin oder ein Erbe zu sein. Aber zurück zur Ehe: Ja, das Menschenrecht auf Ehe und auf deren Schutz gewichte ich hoch. Im Gegensatz zu Ihnen, der es – durch Ihre Zustimmung zum Eheverbot für Sans-Papiers damals im März 2009 – gewichtig verletzt hat.

Gerhard Pfister: Jetzt weichen Sie aus. Erstens: Die Erbschaftsbesteuerungsinitiative ruiniert die kleinen und mittleren Unternehmen. Und zweitens: Dass man Personen ohne Aufenthaltsrecht in der Schweiz die Ehe erlauben soll, ist aus meiner Sicht tatsächlich absurd und höhlt den Rechtsstaat aus. Zurück zur Heiratsstrafe: Leider ist die Parlamentsmehrheit offenbar nach wie vor nicht bereit, diese zu beseitigen. Der Souverän wird es richten müssen, und die CVP-Initiative wird bestimmt nicht zurückgezogen werden können. Sie können es ruhig zugeben: Es gibt kein rationales Argument, warum man diese Diskriminierung der Ehe und der eingetragenen Partnerschaft nicht endlich beseitigen soll. Deshalb schickte wohl auch die FDP vor allem die zweite Garde in die Debatte, denn die Partei erkannte, dass sie mit der Gegenposition auch eigenes Elektorat vergrault. Und etwas Neid war wohl auch dabei, weil die CVP etwas schaffte, woran die FDP scheiterte: die erfolgreiche Lancierung von Initiativen. Der auch von Ihnen unterstützte Gegenvorschlag ist nur eine weitere Massnahme, die Lösung zu verzögern. Ohne Volksabstimmung und ohne Ja des Souveräns zu unserer Initiative wird die Heiratsstrafe nicht abgeschafft.

Balthasar Glättli: Dass Philipp Müller als Präsident der FDP zweite Garde sein soll, ist etwas gesucht. Ebenso die Behauptung, es gebe überhaupt eine Heiratsstrafe: 2 Milliarden Franken Nachteil aus der AHV-Renten-Plafonierung stehen 2,8 Milliarden Franken Vorteile bei der AHV gegenüber. Auch das Argument von der Diskriminierung sticht nicht: Mit der Individualbesteuerung wollen ja die Grünen gerade eine Gleichbehandlung aller erreichen.

Gerhard Pfister: Neben Müller schickte die FDP wirklich nicht die erste Garde. CVP-Kollege Buttet sagte es treffend: «Qui veut noyer son chien l’accuse de la rage.» Man findet immer andere Gründe, wenn man ein Problem nicht lösen will. Deshalb braucht es die Initiative.

Quelle: NZZ am Sonntag, 14.12.2014