«Sie kritisieren zu Recht die Mutti-Merkel-Politik»Lesedauer ca. 4 Minuten

Email-Debatte in der NZZ am Sonntag vom 25. Januar 2015: Nur schwache Regierungen mögen schwache Währungen, meint Gerhard Pfister. Und Balthasar Glättli stimmt Oswald Grübel zu. Oder versteht er ihn nur falsch?


Gerhard Pfister: Lieber Kollege, ich bin schon etwas überrascht, dass auch die Kaste der selbsternannten Illuminaten des Weltwirtschaftsforums WEF so überrascht tut wegen des Entscheids der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Meines Erachtens gehört es zu den unternehmerischen Hausaufgaben, derartige Szenarien in Risikoanalysen zu bedenken. Ich halte den Entscheid der SNB im Übrigen für richtig, weil die Alternativen noch schlimmer wären. Wie denken Sie darüber?

Balthasar Glättli: Nur weil alle der Schweizerischen Nationalbank vertrauten, dass sie tatsächlich alles unternehmen würde, um den Mindestkurs des Euro zu verteidigen, war es möglich, dieses Ziel so lange zu halten. Ohne Überraschung hätte die SNB schon früher ein Problem gehabt. Aber nun, nach der faktisch ersatzlosen Aufgabe des Mindestkurses, hat die SNB ein Glaubwürdigkeitsproblem und damit einen kleineren Handlungsspielraum. Wie gross die realen Probleme sein werden, hängt dagegen von der künftigen Kursentwicklung ab.

Gerhard Pfister: Unglaubwürdig ist die SNB nur bei Spekulanten und Strukturbewahrern geworden, die jahrelang Gewinne ohne eigene Leistung eingestrichen haben. Wer wirklich ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, sind die Europäische Zentralbank (EZB) und der Euro-Raum. Die SNB musste vermeiden, dass durch die Flutung des Marktes mit Euro der Schweizer Franken mit in den Abgrund gezogen wird. Der Euro-Raum unternimmt aber keinerlei Anstrengungen, die nötigen Reformen anzugehen. Das Problem ist Europa, nicht die Schweiz. Ich hoffe, Sie stimmen nicht in den Ruf nach Konjunkturprogrammen und Einkaufsverboten für Schweizer im Ausland ein. Es ist kein Landesverrat, im Ausland einzukaufen. Es macht Kartellisten und Marktabschottern sowie ihren Beschützern in allen Parteien Beine. Dafür ist es höchste Zeit.

Balthasar Glättli: Das sehen Sie falsch: Im Tourismusbereich schlägt der Kurs fast 1:1 durch – ob die Putzmittel etwas billiger eingekauft werden, macht hier nicht den Unterschied. Überraschend finde ich allerdings einen Kommentar in der aktuellen «Wochenzeitung» (WOZ). Die Zeitung kritisiert den riesigen Leistungsbilanzüberschuss der Schweiz und gewinnt deshalb dem Entscheid von SNB-Präsident Thomas Jordan Positives ab. Sollten allerdings der Frankenkurs so hoch und vor allem die Zinsen so tief wie jetzt bleiben, muss ich – horch, horch – Oswald Grübel zustimmen: Dann ist jetzt die beste Zeit für eine nachhaltige Investitionsoffensive. Für einen Green New Deal, um die Energiewende voranzubringen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und Arbeit zu fairen Löhnen in der Schweiz zu sichern. Motto: Umbau statt Abbau.

Gerhard Pfister: Träumen Sie weiter. Man kann Grübel auch absichtlich missverstehen. Mit solchen Griffen in die etatistische Giftkiste belastet man die Wirtschaft zusätzlich. Die Regierungen der EU müssen die Reformen anpacken. Aber Sie sind leider in guter Gesellschaft. Selbst in Deutschland kommt das Stabilitätsdenken unter die Räder, wenn der deutsche Industrie- und Handelskammertag Konjunkturprogramme fordert! Ich sehe derzeit keine Regierungschefs, die fähig und willens sind, ihre Führungsverantwortung wahrzunehmen. Unter Merkel verkommt die deutsche Politik zu einer merkantilistischen Karikatur, wie es sich ein Kohl, Schmidt, sogar ein Schröder nie hätten träumen lassen. Mikromanagement zum Machterhalt statt Bewahrung der Weltstellung mit solider Währungspolitik, Plattitüden der europäischen Eliten am WEF – das ist alles, was von der Europapolitik geblieben ist. Kein Wunder, vertraut niemand dem Euro.

Balthasar Glättli: Sie kritisieren zu Recht die Mutti-Merkel-Politik, wo Machterhalt das zentrale Programm ist. Sie fordern Führungsverantwortung, keine Plattitüden. Was würden denn Sie selbst anpacken? Sei es als Schweizer Wirtschaftsminister oder – wenn Sie sich das lieber vorstellen – als deutscher Kanzler?

Gerhard Pfister: Deutschland muss den Reformdruck insbesondere auf Frankreich und Italien erhöhen, den Mut haben, Griechenland den Exit aus dem Euro vollziehen zu lassen und den Euro-Raum insgesamt auf Stabilitätskriterien zu verpflichten. Nur schwache Regierungen haben Freude an schwachen Währungen. Weiter hätte Deutschland den Entscheid der EZB bekämpfen müssen, denn damit kaufen sich die schwachen europäischen Regierungen nur wieder Zeit, um Reformen zu verschieben. Es brauchte eine deutsche Kanzlerin, die die harten Entscheide durchsetzt, selbst wenn sie dafür riskiert, die Wahlen zu verlieren, wie das Schmidt und Kohl (bei andern Herausforderungen) noch machten. Auch ihr Vorgänger Schröder hat für diesen Mut bezahlt, trotzdem war seine Reform die letzte, die Deutschland wettbewerbsfähiger machte. Davon ist in der EU weit und breit nichts zu sehen. Die schwierige Zeit, die auf die Schweiz zweifellos zukommt, ist auch eine Chance, am Ende noch wettbewerbsfähiger dazustehen als heute. Unsere Wirtschaft schafft das.

Balthasar Glättli: Aber «unsere Wirtschaft» ist nicht einfach die Wirtschaft von uns allen. Jene, die bei einer möglicherweise gesamtwirtschaftlich sinnvollen Strukturbereinigung auf der Strasse landen, sind nicht die Gleichen, die von einer wettbewerbsfähigeren Schweiz profitieren. Drum braucht es jetzt einen klugen Green New Deal und eine Umschulungsinitiative. Und zuletzt: Das (mit dem Lohndumping unter einer rot-grünen Regierung erkämpfte) Exportweltmeistertum von Deutschland gehört zu den wesentlichen Ursachen der gegenwärtigen Turbulenzen im Euro-Raum!

Quelle: NZZ am Sonntag, 25.1.2014