«Föderalismus heisst, dass nicht jeder Unterschied eine Benachteiligung ist»Lesedauer ca. 4 Minuten

Balthasar Glättli will die Stipendien zentral und gerecht regeln. Gerhard Pfister ist dagegen, sein Herz schlägt für die Lehrlinge – und die Souveränität der Kantone.

Balthasar Glättli: Geschätzter Kollege, die Stipendieninitiative gerät angesichts der hitzigen und hetzerischen Kampagne gegen das RTVG etwas in Vergessenheit. Dabei ist doch der Ruf nach einem gerechten Stipendiensystem, das für Studierende aus unterschiedlichen Kantonen gleiche Regeln schafft, nicht nur verständlich, sondern auch wichtig. Gerade in der Schweiz, deren Politiker parteiübergreifend immer betonen, wie wichtig der Rohstoff Bildung ist.

Gerhard Pfister: Der Rohstoff Bildung ist den Politikern nicht so wichtig, wie sie immer sagen. Den Medien auch nicht. Warum sonst gibt es für die Mitglieder der Bildungskommission weniger Punkte bei den Ratings als für Wirtschaftspolitiker. Zur Sache: Es ist tatsächlich bedauerlich, dass die Initiative keine Bildungsdebatte auslöst, auch wenn der Lösungsvorschlag der Initiative für mich in die falsche Richtung geht, in eine antiföderalistische. Wie weit darf für Sie der Zentralstaat in der Bildung durchgesetzt werden?

Balthasar Glättli: Als Zürcher habe ich eben erlebt, wie die bürgerliche Mehrheit alles daran setzte, das Bildungsdepartement der frisch gewählten CVP-Regierungsrätin zuzuteilen. So unwichtig scheint das Dossier nicht zu sein – und das zu Recht. Den Föderalismus in Ehren. Er möge die Freiheit der Kantone zum Beispiel für neue Fachhochschulausbildungen beflügeln. Aber völlig unterschiedliche Berechtigungen und Höhen bei den Stipendien je nach Kantonszugehörigkeit der Studierenden ist nicht föderalistischer Wettbewerb, sondern unfaire Diskriminierung.

Gerhard Pfister: Wenn die Ämterverteilung im Kanton Zürich ein verstärktes Interesse der Bürgerlichen an der Bildungsdirektion ausdrückt, soll mir das recht sein. Das wäre besser als eine blosse Machtdemonstration auf Kosten der Bildung. Strafversetzungen von Personen in für sie schwierige Departemente rächen sich sehr schnell. Die weitaus grössere Diskriminierung als die von Ihnen erwähnte ist die finanzielle Benachteiligung der dualen Berufsbildung gegenüber dem akademischen Weg. Die Lebenshaltungskosten unterscheiden sich ebenfalls kantonal. Föderalismus heisst, dass nicht jeder Unterschied eine Benachteiligung ist und dass man den Kantonen die Kompetenz lässt, sich einvernehmlich zu koordinieren, oder wie in diesem Fall: sich auf ein Konkordat zu einigen. Das haben die Kantone getan. Es ist ein grosser Fehler der Initianten, sich damit nicht zufriedenzugeben. Die voraussichtliche Abfuhr beim Souverän wird der Sache schaden.

Balthasar Glättli: Das Konkordat vereinheitlicht die Kriterien für die Vergabe eines Stipendiums und dessen Höhe nicht genügend. Das Stipendienwesen betrifft – was viele verschweigen – sinnvollerweise ja die ganze Bandbreite der tertiären Erstausbildung, also nicht nur Uni und ETH, sondern auch Fachhochschulen und höhere Berufsbildung. Wenn ich Sie richtig verstehe, kritisieren Sie nun, dass Lehrlinge im Bedarfsfall nicht auch zum Lehrlingslohn hinzu Stipendien erhalten – oder möchten Sie die Gleichstellung eher erreichen, indem Studierende vom Staat auch einen Lehrlingslohn erhalten?

Gerhard Pfister: Ich kritisiere, dass die Initiative Mehrkosten von zirka 500 Millionen Franken in die Tertiärstufe pumpen will, während Lehrlinge nach wie vor für Prüfungsgebühren mehrheitlich selbst aufkommen müssen. Die Unterschiede in den Stipendien sind ein kleines Problem angesichts der massiven Unterbewertung der Berufslehre. Diese 500 Millionen – wenn wir sie denn aufbringen wollen und können – wären zielgerichteter eingesetzt in der Förderung der Berufsbildung. Nicht mit staatlichen Lehrlingslöhnen, aber beispielsweise mit Förderung von Unternehmen, die Lehrlinge ausbilden, oder mit Förderung der gesellschaftlichen Anerkennung.

Balthasar Glättli: Erstens: Wenn Sie verschiedene berechtigte Anliegen so gegeneinander ausspielen, und damit ein Nein erreichen am 14. Juni dann wird die Konsequenz keine bessere Förderung der Berufsbildung sein, sondern der Status quo. Zweitens zeigt Ihre Argumentation, wie gesucht Ihr Vergleich des Studiums mit der Lehre ist. Lehrlinge nämlich erhalten in dem Alter, in dem ihre Kollegen an einer Mittelschule für die Matura büffeln, in ihrer Ausbildung zumindest einen kleinen Lehrlingslohn. Drittens: Über eine Abschaffung der Prüfungsgebühren für Lehrlinge können Sie mit mir sehr gerne diskutieren – genauso wie über die Abschaffung der Studiengebühren an der Uni! Im Kanton Zürich haben 60 Prozent der Stimmberechtigten trotz Nein-Parolen von rechts aussen bis hin zur CVP und GLP 2008 einen Berufsbildungsfonds beschlossen – und damit die Grundlage dafür geschaffen, dass alle Unternehmen solidarisch an den Kosten der Lehrlingsausbildung mittragen und die Prüfungsgebühren für Lehrlinge entfallen. Auch ein grüner Erfolg. Gerne stelle ich mit Ihnen zusammen einen solchen Fonds auch auf schweizerischer Ebene wieder zur Debatte…

Gerhard Pfister: Völlig neidlos gratuliere ich zu diesem grünen Erfolg in Zürich. Entscheidend: Es ist ein kantonaler, kein nationaler Erfolg – und deshalb gute föderalistische Ordnung. Deswegen würde ich auch einen solchen Fonds auf schweizerischer Ebene nicht unterstützen können. Eine Abschaffung der Studiengebühren an der Uni wäre kontraproduktiv. Im Gegenteil: Wir müssten sie eigentlich erhöhen, besonders für ausländische Studierende, die hier zu einer besseren Ausbildung als zu Hause kommen, auf Kosten der Schweizer Steuerzahlenden. Vor diesem Hintergrund steht die Stipendieninitiative noch querer in der Landschaft.

Quelle: NZZ am Sonntag, 31.5.2015