«Nach so viel Verständnis dieser Griff in die Mottenkiste!»Lesedauer ca. 4 Minuten

Geht es um den G-7-Gipfel, um Klimaziele oder Voltaire, sind sich Gerhard Pfister und Balthasar Glättli einig. Aber dann kommt die Atomkraft ins Spiel.

Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, der G-7-Gipfel in Bayern ging mit Ergebnissen zu Ende, die gewissen Kommentatoren überraschend substanziell erschienen. Die Weltwirtschaft soll mittelfristig auf fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas verzichten, damit eine sogenannte Dekarbonisierung erreicht werde. Allerdings innerhalb eines Jahrhunderts. Zu ambitiös? Zu allgemein? Oder generell wertlos, weil die G-7-Staaten nicht repräsentativ sind? Oder mindestens als Signal richtig und erfreulich? Was meinen Sie?

Balthasar Glättli: Die Ankündigungen klingen von weitem besehen zu schön, um wahr zu sein. Und bei näherer Betrachtung wird klar: Die G-7 setzte sich riesige Ziele bis zum Ende des Jahrhunderts, um davon abzulenken, dass ohne einen verbindlichen raschen Rückgang der Emissionen in den nächsten Jahren die Schwelle zu einem gefährlichen Klimawandel nicht abzuwenden ist. Das ist, wie wenn ein Boot arg leckt und man zu faul zum Ausschöpfen des Wassers ist – aber verspricht, dann in einer Woche eine grosse Wasserpumpe einzubauen. Zudem haben Sie natürlich recht: Dass die allergrösste Fabrik des globalisierten Kapitalismus, nämlich China, nicht mit von der Partie ist, stellt ein Riesenproblem dar.

Gerhard Pfister: «Wer von weit her kommt, kann gut lügen», meinte einmal Voltaire. Es geht mir wie Ihnen: Wer sich auf einen Horizont von 100 Jahren verpflichtet, sorgt dafür, dass er ganz sicher nie den Tatbeweis erbringen muss. Realistischer wären konkrete verbindliche Schritte zur CO2-Reduktion, die zwar klein sein mögen, aber durchaus wirksam, wenn sie von allen gemacht werden. Insofern wird die Uno-Klimakonferenz in Paris im November und Dezember zu einem Test, wie ernst es der G-7 ist. Was finden Sie, sind solche Inszenierungen wie G-7-Treffen überhaupt noch zeitgemäss? Bringen sie etwas?

Balthasar Glättli: Den Satz von Voltaire kannte ich nicht – den muss ich mir merken, danke! Tatsächlich teile ich Ihre Meinung: Paris wird zeigen, ob wirklich international angepackt wird oder ob man sich mit wohlfeilen Deklarationen begnügt. Die inszenierte G-7-Einigkeit scheint mir ziemlich unzeitgemäss zu sein. Dass aber deswegen alle Gipfel zwingend nur für die Kulisse sind, möchte ich doch bestreiten. Eine seltene Ausnahme stellt das Montrealer Protokoll dar, das dazu geführt hat, dass das Ozonloch tatsächlich nicht weiter wächst. Dafür waren aber scharfe Vorschriften und Verbote notwendig!

Gerhard Pfister: Mindestens die demokratische Legitimation solcher Gipfel ist zu hinterfragen. Im Anspruch des G, nämlich die Grösse und Wichtigkeit darzustellen, besteht eine gewisse Willkür. Zudem entwerten diese Exklusivitäten echte globale Organisationen wie die Uno. Dort müssten solche Entscheide getroffen werden. Zudem ist mir schleierhaft, wie gerade die deutsche Bundeskanzlerin eine CO2-Reduktion fordern kann, nachdem der überhastete Atomausstieg ihrer Regierung die fossile Stromerzeugung wieder gesteigert hat. Dass solche Widersprüche bei der deutschen Hofberichterstattung aus Elmau nicht erwähnt wurden, ist enttäuschend. Auch die Medienvertreter waren von so viel Glanz und Gloria in den Bayrischen Alpen offenbar beeindruckt. Ich sehe keine wirkliche Rechtfertigung für solchen Event-Gigantismus, wenn die Ergebnisse so bescheiden sind.

Balthasar Glättli: Auch globale Klimagipfel sind nicht unbedingt erfolgversprechender. Die Uno-Klimakonvention von Rio 1992 installierte den Weltklimarat IPCC, der uns jährlich wissenschaftliche Erkenntnisse über den Klimawandel präsentiert und dringend auffordert zu handeln. Wäre damals, vor der Hochblüte der zweiten Globalisierung, bereits ein Absenkungspfad festgelegt worden, dann hätte man wohl mit vergleichsweise sanften Massnahmen ansehnliche Erfolge einfahren können. Heute aber braucht es eine radikale Umkehr. 80 Prozent der bekannten Erdölvorräte müssen im Boden bleiben, damit das 2-Grad-Ziel eingehalten wird. Doch diese Vorräte sind bereits in den Aktienkursen der Erdölkonzerne enthalten… Und entsprechend massiv ist das Lobbying gegen jede wirksame Massnahme!

Gerhard Pfister: Das Wort «massiv» ist zutreffend, aber – teilweise – verständlich: Es ist den Menschen in den aufstrebenden Ländern nicht zu verargen, dass sie einen Lebensstandard wie in der ersten Welt anvisieren. Wir haben da schlechte Argumente und wenig Glaubwürdigkeit, andern Ländern den energieaufwendigen way of life vorenthalten zu wollen, den wir für uns selbst beanspruchen. Appelle der G-7 zur CO2-Reduktion sind – so gesehen –Wasserpredigten von Weintrinkern. Anstatt Chinas CO2-Produktion anzuprangern, müsste man diese Länder eher mit allen Mitteln für den nächsten Schritt hin zu intelligenteren Technologien unterstützen. Das heisst: Lieber sichere, CO2-freie Kernkraft statt fossile CO2-Schleudern. Aber hier kommt dem verwöhnten Europa eben die eigene politische Korrektheit in die Quere oder – konkret bei Ihnen – das Parteiprogramm der Grünen.

Balthasar Glättli: Nach so viel Verständnis dieser Griff in die Mottenkiste! Heute erzeugen weltweit etwa 450 Atomkraftwerke gerade mal zwei Prozent der Endenergie. Würden wir die Zahl der AKW weltweit nur verdoppeln, was keine fünf Prozent der Energie bringen würde, ginge das Uran bereits vor dem Erdöl aus. Bei Neubauten von AKW explodieren zudem Kosten und Bauzeit. Fazit: Selbst wenn AKW sicher, ungefährlich und die Abfälle kompostierbar wären, wären sie keine Lösung gegen den Klimawandel.

Quelle: NZZ am Sonntag, 14.6.2015