Nach der BundesratswahlLesedauer ca. 4 Minuten

Der Bundesrat ist neu bestellt, die Departemente sind verteilt. Für Gerhard Pfister ist das die Rückkehr zur Normalität. Balthasar Glättli warnt vor falschen Hoffnungen.

Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, wir haben eine entscheidende Woche hinter uns. Die SVP ist mit zwei Sitzen im Bundesrat vertreten, und Ueli Maurer übernimmt die Finanzen. Für mich sind das beides Zeichen, dass die Bundesversammlung und die Regierung eine Normalisierung anstreben und dass die Traumata der Metzler- und Blocher-Abwahl hüben wie drüben überwunden sind. Wie beurteilen Sie die Entscheide?

Balthasar Glättli: Wenn Normalisierung bedeutet, dass die SVP sich mässigt und künftig konzilianter und lösungsorientierter politisiert, dann sind meine Hoffnungen klein bis inexistent. Das zeigte auch die Asyldebatte einen Tag nach der Bundesratswahl. Immerhin: Ueli Maurer kann ein gut geführtes Departement übernehmen – im Gegensatz zu Guy Parmelin. Wie er sich darin zurechtfindet, wird sich zeigen. Ich wünsche aber dem ganzen Bundesrat, im Interesse der Schweiz, gutes Gelingen.

Gerhard Pfister: Als ob die Linke ihrerseits durch Konzilianz und Lösungsorientiertheit aufgefallen wäre! Auch Sie taugen ja nicht unbedingt als Stilikone der political softness! Die Asyldebatte war heftig, aber das durfte sie auch sein. Der Bundesrat hat Klugheit gezeigt: nicht mit Mehrheitsentscheiden einen Departementswechsel zu erzwingen, sondern konsensual die Aufgaben zu verteilen. Sommaruga wechselt erst dann, wenn sie ein für sie und die SP attraktiveres Departement erhält, zum Beispiel das Umwelt- und Energiedepartement oder das Wirtschaftsdepartement. Maurer hat einmal mehr bewiesen, dass er fähig und willens ist zur kollegialen Zusammenarbeit. Er scheut sich nicht vor der schwierigen Aufgabe im Finanzdepartement.

Balthasar Glättli: Schön, dass Sie mir toughness attestieren – andere unterstellen mir jeweils eher einen pfarrherrlich abgehobenen Gestus. Aber es stimmt: Die Fetzen dürfen fliegen. Ich kritisiere bloss die blauäugige Argumentation von den Grünliberalen bis hin zu den Freisinnigen, man müsse der SVP zwei Sitze geben, weil diese Normalisierung zu einer Zähmung der Partei führe. Die Departementsverteilung ist nicht nur unglücklich: Ich bin der Überzeugung, dass gerade im Justizdepartement und beim Innendepartement ein Wechsel angesichts der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative und der Rentenreform unklug gewesen wäre.

Gerhard Pfister: Normalisierung heisst nicht Zähmung. Die grössten Kräfte sind derzeit die beiden Polparteien, und deshalb stehen ihnen je zwei Sitze zu. Die SP kratzt mit dem Parteiziel der Abschaffung der Armee mindestens so stark an der Verfassung, wie sie es andern Parteien vorwirft. Es wird nur von den Medien weniger thematisiert, weil das Anliegen bei vielen Journalisten als chic gilt. Die SP ist genauso wenig gezähmt wie die SVP. Der Wutanfall von Parteipräsident Levrat, als vor vier Jahren Sommaruga ins Justizdepartement ging, zeigt, dass er Parteiinteressen vor Landesinteressen setzt. Davon hat er sich erst erholt, als der ängstliche und konfliktscheue Burkhalter der SP das Innendepartement überliess. Was Sie mir aber erklären müssen, ist die komische Haltung der Grünen bei der Bundesratswahl: Ich habe noch nie eine Fraktion erlebt, die sich selbst und ihre Interessen so frühzeitig aus dem Rennen nahm, auch wenn mich die grünen Stimmen für die CVP ja freuten. Was sollte denn das?

Balthasar Glättli: Wir Grünen forderten, als wir stärkemässig eher Anspruch auf einen Sitz gehabt hätten als die FDP auf deren zwei, diesen Sitz immer ein. Hartnäckig. Wer aber so argumentiert, macht sich unglaubwürdig, wenn er nach einer klaren Wahlniederlage so tut, als habe sich nichts geändert. Wir stehen zur Konkordanz im Sinne einer angemessenen Vertretung aller Kräfte. Da ist die bürgerliche Mitte gegenüber dem Rechtslager unter- und SVP und FDP mit der absoluten Mehrheit in der Regierung übervertreten. Unsere rote Linie habe ich, glaube ich, am Mittwoch deutlich gemacht. Wir kritisieren, dass die SVP im Konfliktfall Demokratie über den Rechtsstaat stellt. Das ist, wie wenn man neun Füchse und eine Gans darüber abstimmen lässt, was es zu essen gibt…

Gerhard Pfister: Na ja, das klingt jetzt etwas gar gewunden. Sie machen da den Fehler, die FDP einfach dem Rechtslager zuzuordnen, mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der Levrat sich erlaubt, die CVP und BDP seinem Lager zuzuschreiben. Es gibt keine Lager und keine Blöcke, sondern wechselnde Mehrheiten um bestimmte Sachfragen. Wo Sie recht haben: Die BDP machte 2014 den strategischen Kapitalfehler, eine Allianz mit der CVP abzulehnen. Dann, und nur dann, wäre der Anspruch auf zwei Sitze an die bürgerliche Mitte legitim gewesen. Diese historische Chance wurde vertan. Aber Sie können nicht im Ernst behaupten, Bundesrat Didier Burkhalter sei Vertreter eines Rechtslagers. Es waren auch die Freisinnigen aus der Romandie, die bei den Bundesratswahlen Guy Parmelin dem Zuger Thomas Aeschi vorzogen. Im Parlament sitzen manche Freisinnige, denen der Etatismus näher ist als der Liberalismus. Mit rechtsbürgerlich hat das nichts zu tun.

Balthasar Glättli: Gewunden schien mir da eher der Auftritt der Mitte und der FDP. Alle empörten sich über die erpresserische Ausschlussklausel der SVP, um Minuten später einen der offiziellen Kandidaten zu wählen! Abschliessend möchte ich nochmals betonen, dass es für den Wettbewerb der Meinungen im Bundesrat durchaus auch rechte Parteien braucht. Eine Partei aber, die sogar die Menschenrechtskonvention kündigen will, sollte in einer Regierung keinen Platz erhalten.

Quelle: NZZ am Sonntag, 13.12.2015