Debatte um GrundeinkommenLesedauer ca. 4 Minuten

Gerhard Pfister und Balthasar Glättli lehnen beide das Grundeinkommen ab, finden aber die Idee interessant. Einig sind sie sich trotzdem nicht.

Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege! Die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen hat schlechte Umfragewerte und wird wohl chancenlos bleiben. Dennoch finde ich, dass man über diese Idee mehr diskutieren sollte, als es der Fall ist. Ich lehne die Initiative ab, was ist Ihre Meinung dazu?

Balthasar Glättli: Die Debatte nehme ich – im Gegensatz zu Ihnen – als durchaus lebendig wahr. Sogar innerhalb des Initiativkomitees wird diskutiert, wie sich zu Beginn der Woche gezeigt hat, als sich die Initianten uneinig waren, ob ein einzelnes Land ein Grundeinkommen einführen könne. Die Idee des Grundeinkommens hat eine ernsthafte Auseinandersetzung verdient. Die Zukunft der Arbeit ist tatsächlich ein Megathema. 1991 trat ich den Grünen bei, weil diese schon damals das Grundeinkommen im Programm hatten. Die jetzige Initiative lehne ich zwar ab, weil sie einen grossen Bogen um zentrale Fragen macht, doch bereitet mir die klare Ja-Parole meiner Partei kein Bauchweh.

Gerhard Pfister: Dann sind die Grünen auch eine Partei, die Initiativen befürwortet, um «Zeichen zu setzen»? Das wäre keine gute Entwicklung, denn dann nimmt man es mit der Verfassung nicht mehr so genau. Wenn die Initianten die Zukunft der Arbeit thematisieren möchten, sollten sie es nicht auf ein Grundeinkommen reduzieren. Stattdessen müssten wir ganz neue Wege der Arbeitsmöglichkeiten gehen. Das heisst aber auch, über Arbeitsort und -zeiten zu diskutieren, ohne dass die Gewerkschaften hier jede Entwicklung von vornherein tabuisieren wollen. Firmen wie Google und deren Arbeitswelt passen nicht in das Korsett des Klassenkampfs.

Balthasar Glättli: Ich glaube, dass es der klaren Mehrheit an Befürwortern in unserer Partei durchaus ernst ist, auch wenn sie natürlich wissen, dass es am 5. Juni kein Ja geben wird. Immerhin kann man der Initiative eins nicht vorwerfen: dass sie einfach die Positionen von Parteien oder Verbänden an die Urne bringt. Sie nutzt vielmehr die Gelegenheit, eine Frage aufs Tapet zu bringen, der die offizielle Politik ausweicht. Allerdings stelle ich den Initianten Gegenfragen: Warum sprechen sie nicht von einer besseren Verteilung der Erwerbs- und Nichterwerbsarbeit auf mehr Hände und zwischen Frauen und Männern? Warum gehen sie im Initiativtext nicht auf die Frage der Finanzierung ein? Würden die Menschen tatsächlich vom Erwerbszwang befreit, wie dies die Initianten annehmen, wenn einfach die ersten 2500 Franken des Einkommens vom Staat statt vom Arbeitgeber kommen?

Gerhard Pfister: Bei so vielen unbeantworteten Fragen als Partei trotzdem Ja zu empfehlen, ist schon etwas leichtfertig, finde ich. Ein bedingungsloses Grundeinkommen müsste man einmal radikal weiterdenken: Wenn jeder Mensch von der Volljährigkeit bis zum Tod vom Staat monatlich eine Summe erhält, dafür dann aber keinerlei weitere staatliche Leistungen, wäre das unter Umständen eine sehr interessante und sogar kostengünstigere Ausgestaltung des Sozialstaates. Alle wären gezwungen, ihre Selbstverantwortung wahrzunehmen. Das wäre echt liberal.

Balthasar Glättli: Dieser Haltung kann ich sogar von links-grüner Seite etwas abgewinnen. Heute widmen sich Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen in ihrer Arbeit je länger, je mehr nur den finanziellen Aspekten und der Missbrauchskontrolle. Wenn es etwas weniger Sozialarbeiter brauchte, diese dafür ihre fachliche Kompetenz voll in die Unterstützung jener Betroffenen investieren könnten, welche dies wollen und brauchen, wäre das für alle ein Gewinn. Problematisch finde ich Ihren Ansatz dort, wo heute für nicht selbstverantwortete Schwierigkeiten höhere Leistungen ausbezahlt werden. Die Invalidenversicherung durch ein deutlich tieferes Grundeinkommen zu ersetzen, wäre weder fair noch liberal – und das wollen die Initianten im Übrigen auch nicht.

Gerhard Pfister: Solche Fragen müsste man diskutieren. Zumal die Initianten den Eindruck vermitteln, sie wüssten selber nicht genau, was sie wollen. Umso mehr bedauere ich, dass diese Initiative eher zum Ende der Diskussionen über die Arbeitswelt führen wird. Initiativen sollten dann lanciert werden, wenn man im Parlament nicht mehr weiterkommt. Hier tun die Initianten das Gegenteil. Sie diskutieren nicht zuerst, sondern kommen gleich mit einer konkreten Verfassungsänderung. Ist diese abgelehnt, bedeutet das auch einen Rückschlag für eine vertiefte Diskussion. Eigentlich könnte man mindestens von einem ehemaligen Vizekanzler mehr staatspolitische Klugheit erwarten. Unabhängig davon muss die Politik aber Antworten finden auf neue Herausforderungen: die Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung, die Stärkung der Selbstverantwortung im Sozialstaat und – wie immer – die Frage, wie viel das Ganze kosten darf.

Balthasar Glättli: Wir haben es in der Hand, die Diskussion weiterzuführen! Ich bin gerne dabei. Falsch wäre allerdings, wenn sich der Graben vertiefen würde zwischen einer bevorzugten Klasse von «Erwerbsarbeitsbesitzenden» und Prekarisierten, die ein Brosamen-Grundeinkommen von der Revolte abhält. Die Dividende der Digitalisierung muss der ganzen Gesellschaft zugutekommen – nicht bloss den glücklichen Investoren hinter den Internetgiganten der Gegenwart und der Zukunft. Ein prüfenswerter Ansatz wäre auch ein teilweise nichtmonetäres Grundeinkommen: der massive Ausbau steuerlich finanzierter kostenloser Service-public-Leistungen etwa im Gesundheitsbereich – so wie wir das heute bei der Volksschule kennen.

© NZZ am Sonntag; «Diese Initiative führt eher zum Ende der Diskussionen über die Arbeitswelt»; 01.05.2016; Ausgabe-Nr. 18; Seite 18