Die Nato-Tauglichkeit der ArmeeLesedauer ca. 4 Minuten

Sicherheitspolitik wird wieder aktuell: Während Gerhard Pfister die Nachrüstung der F/A-18 begrüsst, ist das für Balthasar Glättli der Schritt zum Militärbündnis.

Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, macht Donald Trump seine Drohungen wahr, werden sich die USA auch sicherheitspolitisch zurückziehen. Für Europa und die Nato sind das schlechte Nachrichten, sie können ihr Engagement für die eigene Sicherheit nicht mehr vernachlässigen. Man kritisierte die Amerikaner zwar immer, reduzierte aber die eigenen Verteidigungsanstrengungen. Als neutraler Kleinstaat mitten in Europa wird auch die Schweiz von dieser Entwicklung betroffen sein. Ich bin froh, dass Bundesrat Guy Parmelin mit der Nachrüstung der F/A-18 konkrete, machbare Schritte vorschlägt, die die Sicherheit der Schweiz verbessern.

Balthasar Glättli: Ganz anderer Meinung. Die Nachrüstung des F/A-18 zur Erdkampffähigkeit folgt keinem militärischen Risikoszenario. In den neunziger Jahren hatte man bewusst darauf verzichtet. Es geht um ein politisches Ziel. Es geht da um die Nato-Tauglichkeit der Schweizer Armee. Ich wette aber mit Ihnen: Das Mitmachen bei der Nato-Partnership-for-Peace hätte an der Urne nie eine Mehrheit! Zum Schluss zu Trump. In Trumps Personenkarussell sind ja derzeit neben Rechtsextremen eigentlich nur Konservative und Neokonservative. Interventionisten also.

Gerhard Pfister: Dann sind Sie auch nicht der Meinung, dass die europäischen Staaten, allen voran Deutschland, endlich wieder eine starke eigenständige Verteidigungspolitik anstreben sollten? Soll Europa dem Machtanspruch Putins nachgeben? Wenn Trump und Putin sich wirklich so gut verstehen sollten, wie es im Wahlkampf schien, besteht das Risiko, dass die amerikanische Regierung Europa dem russischen Einfluss überlassen wird. Gerade die vom sowjetischen Joch befreiten Staaten wissen, dass nur die Nato ihre Freiheit im Ernstfall verteidigen kann. Nehmen Sie nur die baltischen Kleinstaaten: Wer einmal die Tatzen des russischen Bären gespürt hat, weiss, warum er den Schutz der Nato schätzt.

Balthasar Glättli: Sind Sie der Meinung, es brauche eine europäische Armee – oder zumindest ein enges Verteidigungsbündnis der EU? Und die Schweiz sollte sich diesem anschliessen? Wenn Sie wirklich davon ausgehen, dass die Nato mit Trumps Annäherung an Putin Geschichte sein wird, und wenn Sie unterstellen, dass Putin tatsächlich militärische Ambitionen auf die Länder des früheren Ostblocks hat und diese Länder nicht bloss dem Einfluss der USA entfremden will, dann wäre ja die europäische Armee die logische Folge. Sie schreiben selbst, nur die Nato könne Kleinstaaten gegen russische Angriffe verteidigen – aber die USA zögen sich daraus zurück. Wenn nicht die Nato, dann müsste es also aus Ihrer Sicht ein europäisches Beistandsbündnis sein. So oder so: Ihre Argumente entlarven – möglicherweise ungewollt – dass es bei der F/A-18-Aufrüstung eben um Bündnisfähigkeit geht.

Gerhard Pfister: Ich bin dezidiert der Meinung, dass zuerst die europäischen Nato-Partner ihren Verpflichtungen nachkommen sollten. Es gibt langfristig keine glaubwürdige Alternative zur Nato, aber die Nato-Mitglieder müssen eine glaubwürdige Verteidigungsstrategie haben. Die Schweiz als neutraler Kleinstaat ist zwar abhängig von der Verteidigungsfähigkeit Europas, muss aber eine ihr angemessene Rolle ausüben, und die ist eben ausserhalb solcher Bündnisse. Dort, wo es sinnvoll ist, trägt sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Stabilisierung und Friedenssicherung bei. Das Schweizer Engagement in Kosovo war sinnvoll. Jetzt sollte der Bundesrat aber eine geordnete Strategie zum Ausstieg vorlegen. Eine weitere Präsenz der Schweiz ist dort nicht mehr nötig. Aber Kosovo ist ein gutes Beispiel für die militärische Rolle der Schweiz. Das geht ohne Beitritt zu Bündnissen.

Balthasar Glättli: Gut, dann sind wir wenigstens beim Nato-Beitritt gleicher Meinung. Wir Grünen haben den Einsatz in Kosovo indes von Anfang an abgelehnt und wären auch heute für ein rasches Ende: Die Gelder sollen für zivile Friedensförderung eingesetzt werden. Das ist der Rolle der neutralen Schweiz angemessen. Differenzen haben wir auch bei der Schweizer Sicherheitspolitik. Sie wollen die F/A-18 erdkampffähig machen. Ich meine, dass heute ganz andere Bedrohungen aktuell sind. Ohne eine Waffe und einen einzigen Schuss gelang es höchstwahrscheinlich Russland, via Wikileaks grossen Einfluss auf den US-Wahlkampf auszuüben. Ob dies für die Wahl des Putin-Bewunderers Trump den Ausschlag gab, muss offenbleiben. Relevant war es auf jeden Fall. Mein Fazit: Statt für Milliarden die Kriege von gestern vorzubereiten, müssen wir uns mehr um die Cybersicherheit kümmern. Das ist eine Verbundsaufgabe. Das betrifft nicht nur die Armee, sondern auch Private, Behörden und Firmen, wie die Betreiber von Telekommunikationsanlagen, Stromnetzen und AKW.

Gerhard Pfister: Die klassischen militärischen Konflikte sind auch in Europa nicht vorbei. In der Ukraine zeigt sich das täglich. Die Schweiz muss auch darauf vorbereitet sein, und dazu gehört eine glaubwürdige Luftwaffe. Dass neue Kriegsbedrohungen auch neue Antworten brauchen, ist dazu kein Widerspruch, sondern eine Ergänzung. «Wer Frieden will, bereite sich auf den Kriegsfall vor» – wie dieser Krieg auch immer neu aussehen mag.

Balthasar Glättli: Die richtige Reaktion auf die neue Unsicherheit wäre, die Schweiz als neutralen Anbieter guter Dienste zu stärken. Und uns auf die wahrscheinlichsten Szenarien vorzubereiten, um auch gegen rein kriminelle Cyberattacken gewappnet zu sein. Trotz den russischen Muskelspielen bleibt die Schweiz nämlich von Freunden umzingelt.

© NZZ am Sonntag; «Es geht da um die Nato-Tauglichkeit der Schweizer Armee»; 27.11.2016; Ausgaben-Nr. 48; Seite 20