Eine Milliarde für Sion 2026? Geldverschwendung, findet Balthasar Glättli. Nein, sagt Gerhard Pfister, die Schweiz könnte ein Vorbild an Bescheidenheit sein. Die E-Mail-Debatte.
Gerhard Pfister
Geschätzter Kollege, ich habe schon etwas gestaunt über die grösstenteils kleingeistigen und miesepetrigen Reaktionen auf den Entscheid des Bundesrats, die Bewerbung Sion 2026 für Olympische Winterspiele grundsätzlich zu unterstützen. Jetzt zeigt unsere Landesregierung endlich einmal einen Funken Mut und Führungsstärke, und dann ist es auch wieder nicht recht. Wer, wenn nicht die Schweiz, soll denn in der Lage sein, Grossanlässe ohne Gigantismus und nachhaltig durchzuführen? Warum ergreift man nicht die Chance für die Schweiz?
Balthasar Glättli
Chancen ergreifen tönt ja gut. Brot und Spiele hiess schon das Motto der alten Römer. Wenn für die Spiele allerdings das Brot rationiert wird, stimmt etwas nicht. Der gleiche Bund, der nun eine Milliarde für zwei Wochen Olympia ausgeben will, möchte schon nächstes Jahr eine Milliarde einsparen. Das fehlt dann bei Berufsbildung, Forschung, AHV, Entwicklungshilfe, bei der Landwirtschaft (oder wie die SVP befürchtet: beim Militär). Da habe ich mehr als nur ein bisschen Mühe. Könnte man die Olympischen Spiele mit Spielgeld bezahlen, würd ich es mir überlegen. Aber so ist es leider nicht.
Gerhard Pfister
Natürlich werden jetzt alle Interessengruppen behaupten, das Geld fehle dann bei ihnen. Das sind normale Verteilungskämpfe in einem reichen Land, wo Sparen meistens nur heisst: Etwas weniger mehr ausgeben, als man forderte. Sie verschweigen, dass das Projekt nicht einmal 100 Millionen für die Errichtung der Anlagen budgetiert, weil man grösstenteils bestehende Infrastruktur ausnutzt. Damit sind auch keine Investitionsruinen zu erwarten.
Balthasar Glättli
Olympia ist attraktiv für jene Politiker, die sich dann bei den Eröffnungsfeiern als Sportsfreunde darstellen können. Real kosten die Spiele dann aber sicher mehr als die zwei Milliarden. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt: Kostenüberschreitungen von mehr als 100 Prozent sind die Regel, nicht die Ausnahme. Wer glaubt, dass dann nicht wieder beim Bund die hohle Hand gemacht würde, der träumt!
Gerhard Pfister
Ich gehe nicht davon aus, dass ich bis zur Eröffnungsfeier 2026 Politiker bleibe… und staune, dass Sie so pessimistisch sind. Die Schweiz könnte in einem ganz konkreten Sinn zum game changer werden, indem sie vormacht, wie moderne olympische Spiele in einer Demokratie durchgeführt werden, ohne dass die Bevölkerung für die Grossmachtsphantasien von Potentaten büssen müsste. Gerade wir wären in der Lage, eine neue Ära der Bescheidenheit und der Nachhaltigkeit einzuläuten. Es droht die Gefahr, dass sportliche Grossereignisse nur noch dort durchgeführt werden, wo die Bevölkerung nichts dazu sagen kann. Warum nicht eine Schweizer Innovation für die Sportwelt?
Balthasar Glättli
Demokratie – ein gutes Stichwort! Zu olympischen Spielen in Demokratien gehört aus Sicht der Grünen zwingend auch ein demokratischer Entscheid darüber, ob der Bund eine Milliarde für zwei Wochen ausgeben soll… Wenn Sie so stolz und begeistert sind vom Projekt Sion 2026 – wären Sie dann wenigstens bereit, mit einem Planungsbeschluss auch den Schweizer Stimmberechtigten die Möglichkeit zu geben, Ja oder Nein zu sagen zu einer so grossen, einmaligen Ausgabe mit zusätzlichem Finanzrisiko?
Gerhard Pfister
Zuerst werden ja ohnehin die Walliser abstimmen, ob sie das Projekt unterstützen. Dann kann man diese Frage prüfen. Lehnen sie ab, ist das Thema ohnehin vom Tisch. Deshalb hat der Bundesrat jetzt zu Recht grundsätzlich sein Einverständnis signalisiert, wenn die betroffene Bevölkerung es mitträgt. Ich halte es andererseits auch für recht problematisch, wenn jene Kantone, die nichts davon haben, die andern majorisieren würden. Es sind ja nicht gerade die strukturstärksten Regionen der Schweiz, für die olympische Spiele, wertvolle und nachhaltige Impulse bringen können. Was für den Walliser sinnvoll ist, muss es für den Zürcher nicht sein. Aufgabe des Bundes ist es gerade, übergeordnete Interessen zu vertreten.
Balthasar Glättli
Die 100 000 Besucher, die pro Tag in fünf Kantonen an zwanzig verschiedenen Standorten Wettkämpfe verfolgen wollen, die sind nicht nur im Wallis. Darum muss auch eine gesamtschweizerische Abstimmung möglich sein. Dem Wallis selber wäre übrigens wesentlich mehr geholfen, wenn die Schweiz mithilft, dass sich der alpine Tourismus neu erfinden kann. Damit er für alle vier Jahreszeiten Angebote hat – weil auch die wasser- und energiehungrigen Schneekanonen irgendwann nicht mehr gegen die Klimakrise ankommen!
Gerhard Pfister
Ich sehe gerade darin die Chancen für den Tourismus. Dass man es eben in der Schweiz zum ersten Mal anders macht als bisher, innovativ, nachhaltig und bescheiden. Ich traue uns das zu – wenn die Walliser selbst sich das zutrauen.
Balthasar Glättli
Die Olympia-Fans kommen mir vor wie grosse Buben. Und das ist eigentlich schön. Denn es stimmt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wenn allerdings gleichzeitig bei der Solidarität mit den Armen in unserem Land und den Ärmsten weltweit gespart werden soll, wenn wir gleichzeitig nicht bereit sind, den Kampf um die Grundlage des Tourismus – den Kampf gegen die Klimakrise – ernsthaft voranzubringen: Dann ist mir das Leuchten in den Augen der grossen Buben nicht Argument genug für ein Ja zur Milliardenausgabe!
© NZZ am Sonntag; «Die Olympia-Fans kommen mir vor wie grosse Buben»; 22.10.2017