Völlig überraschend hatte der Bundesrat die Erwerbsersatzentschädigung für Selbständige per Mitte Mai auslaufen lassen. Das war, mitten während des grössten Wirtschaftseinbruchs seit Jahrzehnten, ein unverantwortlicher Schritt. Unter anderem auf Druck der GRÜNEN – etwa mit der Forderung nach einer ausserordentlichen Session – hat der Bundesrat am 1. Juli endlich seinen Entscheid korrigiert.
Update 1. Juli 2020: Der Druck von den GRÜNEN, der SP und auch der glp, aber auch der direkt Betroffenen hat gewirkt. Endlich hat der Bundesrat seinen Fehlentscheid korrigiert. Unsere Reaktion der GRÜNEN »
Update 25. Juni 2020: Gemeinsam haben wir von den GRÜNEN und der SP eine ausserordentliche Session gefordert für die Behandlung der Motionen zur Unterstützung der Selbständigen. Dies hätte gesetzeskonform ermöglicht, dass sowohl National- als auch Ständerat über die Motionen noch vor den Sommerferien entscheiden und damit dem Bundesrat den Auftrag geben, seinen Fehlentscheid zu korrigieren. Leider haben die Bürgerlichen (ausser der glp) dieses Anstrengungen torpediert und die ausserordentliche Session mit ihrer Mehrheit im Büro auf den September verschoben. Unsere Reaktion der GRÜNEN »
Hier der ursprüngliche Blogeintrag vom 16. Juni 2020:
Viele verstehen mein Abstimmungsverhalten zu einem Ordnungsantrag zur Corona-Unterstützung für Selbständige und KMU heute nicht. Darum hier eine Erklärung, warum ich am 16. Juni anders als der Rest der Fraktion gestimmt habe, obwohl ich wie die GRÜNEN und die SP inhaltlich die Kritik am Bundesrat zu 100% teile und die Weiterführung des Lohnersatzes voll und ganz unterstütze.
Worum geht’s? Der Bundesrat hat am 20. Mai überraschend beschlossen, die Hilfsmassnahmen zugunsten vieler Selbständiger per Ende Monat einzustellen. Ein falscher und für viele Betroffene verheerender Entscheid. Zwei Motionen der Sozialkommission des Nationalrates (SGK-N) wollten dem Bundesrat den Auftrag geben, dies rückgängig zu machen. Nun ging es darum, ob diese Vorstösse noch diese Woche im Nationalrat behandelt werden oder nicht.
Ich habe heute morgen – anders als die GRÜNE Fraktion – nicht für die Traktandierung gestimmt. Warum?
- Eine Traktandierung im Nationalrat hätte leider nicht zu einer raschen Lösung geführt. Denn ohne Unterstützung des Anliegens durch den Ständerat hätte sich der Bundesrat nicht bewegt, nicht bewegen müssen. Leider hat die ständerätliche Kommission die Motionen bereits abgelehnt. Das kann ein Nationalratsentscheid allein nicht übersteuern. [hier zu den Details, warum das so ist]
- Ich setze mich als Politiker seit Jahren für die Anliegen von Minderheiten und Aussenseiter*innen ein. Und darum hat für mich der Respekt von Regeln und Verfahren eine Bedeutung gewonnen, die vielleicht nicht nicht für alle einfach zu verstehen ist. Grundrechte bleiben nur dann wirksam, wenn sie im Einzelfall nicht durch Mehrheiten ausgehebelt werden. Auch im Parlament ist der Respekt vor den selbst beschlossenen Regeln eine zwingende Voraussetzung zum Minderheitenschutz. Darum tue ich mich sehr schwer damit, solche Regeln zu brechen, sehr viel schwerer als andere. Und in diesem Fall war klar: eine Traktandierung hätte gegen das vom Parlament gemachte Parlamentsgesetz verstossen.
Ich habe – zugegeben – meine Prinzipien auch schon gebrochen. Aber dann muss es eine direkte Wirkung haben – leider war das hier praktisch ausgeschlossen.
Das politische Fazit
Die Verantwortung zum überhasteten Abbruch der Hilfsmassnahmen bleibt beim Bundesrat. Und die reale Möglichkeit und Verantwortung, seinen Fehlentscheid wirklich rasch in wenigen Tagen zu korrigieren, auch. Ein Entscheid im Nationalrat alleine hätte hier noch keine neue Rechtslage geschaffen. Wäre das anders gewesen, dann hätte ich mich – entgegen meiner demokratiepolitischen Überzeugungen – gezwungen, mit meinen linken und grünen Kolleg*innen zu stimmen.
Die Verantwortung zum überhasteten Abbruch der wichtigen Hilfsmassnahmen bleibt beim Bundesrat. Und die reale Möglichkeit und Verantwortung, seinen Fehlentscheid wirklich rasch in wenigen Tagen zu korrigieren, auch.
Das persönliche Fazit
Mir ist klar, dass meine Grundrechts-Position in diesem Fall sehr schwierig zu vermitteln ist. Menschen wurden enttäuscht, weil sie glaubten, ein anderer Entscheid hätte alle Probleme behoben. Ich hoffe, dass meine Erklärung hier etwas Klarheit schaffen kann.
Und nachdem einige Medienschaffende nun das Geschehene zu einem Showdown zwischen Mattea Meyer, Cedric Wermuth und mir als je mutmassliche künftige Präsident*innen von SP und GRÜNEN hochstilisieren wollen, schliesse ich gerne mit der Klarstellung: Mein Abstimmungsverhalten hatte mit den Urheber*innen der Vorstösse überhaupt nichts zu tun. Die Arbeit von Mattea und Cédric schätze ich – und ich teile weiterhin in diesem Falle die inhaltliche Kritik am Bundesrats-Entscheid. Sollten wir uns künftig in den Rollen als Präsidien unserer Parteien begegnen, so freue mich auf die Zusammenarbeit.
[1] Warum dies? Wir haben ein Zweikammersystem. Um dem Bundesrat einen verbindlichen Auftrag zu geben, müssen Motionen von beiden Räten angenommen werden. Im vorliegenden Fall war dies nicht der Fall. Die Folge: Auch nach einem JA im Nationalrat hätte zuerst die SGK-S die Motion vorberaten müssen. Und dann hätte auch der Ständerat noch darüber befinden müssen. Sprich: es wäre so oder so September geworden. Das Gegenbeispiel: bei den Geschäftsmieten haben die Wirtschaftskommissionen beider Räte gleich lautende Motionen eingereicht, die je im jeweiligen Rat verabschiedet wurden. Damit ist nun der Auftrag an den Bundesrat in trockenen Tüchern. Dass er selbst in dieser Situation mit klarem Auftrag auf Zeit spielt, ist nochmals eine andere, traurige Geschichte.