Die Prioritäten der KKSLesedauer ca. 2 Minuten

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Karin Keller-Sutter, genannt KKS, kämpft wie eine Löwin für ihre Abstimmungsvorlage. Klar: die Bilanz eines/r MagistratIn misst sich auch an den Urnengängen. Ignazio Cassis Probleme, sein herausforderndes Hauptdossier, das Rahmenabkommen der Schweiz mit der EU, zu einem guten Abschluss zu bringen, sind absehbar. Da wäre es umso verlockender, selbst mit einer makellosen Abstimmungsbilanz glänzen zu können in zweieinhalb Jahren. Da ja dann, wer weiss, vielleicht einer der beiden freisinnigen Bundesratssitze an die Grünen gehen könnte. Darum wirft sich KKS engagiert in den Abstimmungskampf für die Privatisierung des digitalen Schweizer Passes: Es gehe um die Zukunft, um den Kampf gegen böse ausländische Internetplattformen, um einen Ruck Richtung eGovernment.

Ich teile ihre Argumente nicht. Dieses E-ID-Gesetz braucht es nur, weil der Bund lieber eine hoheitliche Aufgabe privatisiert statt ein Informatikprojekt umzusetzen, das innert einem Jahr sogar das kleine Liechtenstein erfolgreich realisieren konnte. Aber auch ich muss anerkennen: KKS ist engagiert. Sie ist präsent. Und lässt nichts anbrennen. Sie hat den Abstimmungskampf bereits im alten Jahr gestartet, kaum war die Konzernverantwortungsinitiative versenkt. Wer den Abstimmungskalender ansieht, kratzt sich am Kopf. War da nicht noch was, Frau Justizministerin? Eine Burka-Initiative? Eine zweite Abstimmungsvorlage von KKS? Ja.

Nötigung ist schon heute strafbar. Die Burka-Initiative bestraft neu neben den Tätern die Opfer. Wo bleibt das Engagement von Karin Keller-Sutter?

Die gleichen Rechtskonservativen, die am längsten kämpften gegen das Frauenstimmrecht, am heftigsten gegen das neue Eherecht, am stursten gegen das Recht auf Abtreibung und gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe: Sie verlangen nun – angeblich im Namen der Frauenrechte – ein Verhüllungsverbot. Muslimfeindlicher Populismus. Die zwei ersten Forderungen der Aufklärung waren die Aufhebung von Kleidervorschriften und die Einführung religiöser Toleranz. Die Initiative wendet sich gegen beide Uranliegen des politischen Liberalismus. Ein aufgelegter Pass für eine freisinnige Bundesrätin. Und sie wäre die richtige Absenderin: Weil nach der aktuellen ‹20Minuten›-Umfrage mehr FDP-Wählende Ja zur Burka-Initiative sagen als AnhängerInnen der CVP. Dabei ist offensichtlich: Unterdrückte Frauen in islamischen Staaten werden nicht durch ein Burka-Verbot in der Schweiz befreit. Wer heute hier Frauen die Verhüllung aufzwingt, macht sich strafbar: Nötigung ist und bleibt ein Offizialdelikt. Was ändert mit der Burka-Initiative? Neu würde auch das Opfer bestraft. Nicht nur der Täter. Wo bleibt das Engagement von KKS dagegen?

Balthasar Glättli, Nationalrat/Präsident GRÜNE

[Dieser Text erscheint am 12.2.2021 als GRÜNE GEDANKEN ZUR WOCHE in der Wochenzeitung P.S.]