2001 lancierte die Fabrikzeitung eine stadtzürcher kulturpolitische Debatte. Hier mein damaliger Beitrag.
Eine linke Kulturpolitik ist eine „gerechte Kulturpolitik“. Sie widersteht der Versuchung, Kultur zur Durchsetzung anderer Interessen zu instrumentalisieren. Sie dekonstruiert die Globalisierungsrhetorik der Standortdebatten.
Einige Hintergedanken zu diesen Schlagworten:
Eine persönliche Annäherung
Es fällt mir leicht, mir schnell eine gültige politische Meinung zu bilden. Wenige Grundsätze sorgen für Orientierung. Unsicher wurde ich bislang am meisten bei „kulturpolitischen“ Fragen – konkret bei der Ausschüttung von Kultursubventionen. Eigentliche Kulturdebatten, die diesen Namen verdienen, habe ich bis jetzt im Zürcher Gemeinderat keine erlebt. Für mich bleiben Politik und Kultur, Kultur und Politik ein ungleiches Paar. Sie stehen je im Verhältnis des Neben-Satzes. Eine Reibung, die ich im politischen Sprachregister nicht auszudrücken vermag.
Andere sehen dies simpler, verstehen Kunst als reine Vermittlung. Doch wenn ich solche Thesenpapiere lese, welche die Kunst „wegen ihrer emotionalen Qualität“ als ideales Kommunikationsmittel und Aufklärerin im Dienste z.B. der nachhaltigen Entwicklung preisen, kriege ich Brechreiz.
Eine politische Annäherung
In einer Zeit, da die Frage „what’s left?“ nicht unbedingt leicht zu beantworten ist, wird auch die Frage nach einer linken Kulturpolitik prekärer. In der täglichen politischen Auseinandersetzung aber scheint mir das Einfordern von Gerechtigkeit – wie abstrakt dies hier auch klingen mag – geeignetes erstes Kriterien zur Bestimmung eines linken Politikansatzes zu sein. In dem Sinn muss sich dann staatliche Subvention auch klar vom Sponsoring abgrenzen, gehören Subventionen eben dorthin, wo sich für Sponsoring kein gedeihlicher Boden findet. Subventionen sollen die Breite des kulturellen Engagements unterstützen. Dort, wo vermögende Bevölkerungsschichten bestimmte kulturelle Ereignisse als Rahmen fürs Sehen und Gesehenwerden brauchen – und dies ist durchaus nicht nur bei den Highlights der etablierten grossen Häuser der Fall – , ist staatliche Unterstützung wohl eher weniger dringend gefordert. Die heute tendenziell zunehmende Vermischung von Politik und Sponsoring setzt die falschen Zeichen. Immerhin hat Sponsoringgeld die Eigenschaft, dorthin zu fliessen, wo es im Kampf um die „eyeballs“ Chancen hat, wahrgenommen zu werden. Das entspricht seiner Logik und bleibt unbestritten. Doch sollte die Politik hier auf einen Ausgleich drängen. Provokativ überspitzt hiesse dies wohl: Der „Eigen“finanzierungsgrad (erreichbare Sponsoring- und Eintrittsgelder) sollte als Negativkriterium bei der Subventionsverteilung gelten!
Eine gesellschaftliche Annäherung
Mit zu den Fragen, die sich in der Auseinandersetzung um die Kulturpolitik stellen, gehört letztlich auch um die Frage an uns PolitikerInnen, wofür wir denn eigentlich Politik machen. Denn mir scheint es, dass wir PolitikerInnen in vielem ja nur die bescheidene Aufgabe haben, gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen oder zu unterstützen, die es den Menschen ermöglichen, selbst zu leben und ihr Leben selbst zu gestalten. Wie auch immer sie dies wollen.
Diesem egalitären gesellschaftlichen Ansatz könnte die Durchsetzung der Forderung nach einem Garantierten Mindesteinkommen (GME) ein alltägliches Gesicht geben. Ein soziales Existenzminimum ohne Zwang zur Wiedereingliederung in die sogenannt produktive Arbeitswelt würde ein unheimliches Potential für kulturelle Äusserungen schaffen. Sollten wir linke PolitikerInnen nicht gemeinsam mit den Kulturschaffenden für diese egalitäre Sozialpolitik, für ein tatsächliches Existenzmaximum kämpfen, augenzwinkernd fordern: „lasst ein, zwei… tausend Werkjahre blühn!“ statt die Rhetorik der Standortdebatte benutzend die Kultur als Trumpf in der globalisierten Auseinandersetzung postindustrieller wirtschaftlicher Ballungsgebiete zu preisen?
Eine ökonomische Annäherung
Die Finanzpolitik ist einer Ökonomie der Knappheit verpflichtet. Nur beschränkte Mittel stehen uns PolitikerInnen zur Verfügung. Die Kultur hingegen steht in ihrem eigentlichen Ausdruck nicht einer Ökonomie der Knappheit, sondern einer Ökonomie des Überflusses, der Verschwendung näher (Bataille). Noch als „Gebrauchskunst“ und ganz zentral im Bereich der abstrakteren Künste will Kunst nicht einschränken, sondern vielsinnig und mehrdeutig dem Normalen, Alltäglichen etwas Anderes entgegenstellen. Kultur „produziert“ Bedeutung, Mehr-Bedeutung – nicht zwingend Sinn! Das Wesen der Kultur ist Mehrdeutigkeit.
Zum Thema Verschwendung diese kleine Abschweifung: ich träume, dass es irgendwann möglich ist, den Rüstungs-Keynesianismus durch einen Kultur-Keynesianismus zu ersetzen… subventionierte Kultur schafft immerhin auch Arbeitsplätze, jedenfalls wenn das „Schaffen“ genauso zur Arbeit gezählt wird wie das Schaffen von Zerstörungspotential.
Eine philosophische Annäherung
Foucault hat auf dem Gebiet der Sexualität für mich sehr einleuchtend ausgeführt hat, dass im Lauf der Modernisierung die Mechanismen der Repression durch ein Produktivitäts-Management (er nennt es Biomacht) überlagert werden. Mir scheint es, dass heute viele Äusserungen zeitgenössischer Kultur mindestens in ihrer Rezeption auch von solcher Normalisierung betroffen sind. Wenn Unkonventionalität, Anecken, Provokation zum „branding“ der Kunstschaffenden gehört, beginnt eine schwierige Gratwanderung. Um so wichtiger und schwieriger stelle ich es mir vor, eigene Ansätze zu entwerfen, das eigene Zitat zu finden. Dazu braucht es keinen Rückgriff aufs Innere, kein Horchen aufs Verborgene . Sondern einen mutigen Entwurf, einen Entwurf auch seiner selbst. Foucault provoziert dies mit seiner Frage: „Warum sollte nicht jeder Mensch aus seinem Leben ein Kunstwerk machen können?“
Abspann
Vielleicht kann Kultur auch ganz gut ohne Politik bestehen; und ich will sie nicht ins Politische zwingen. Aber die Politik kann sich von den Fragestellungen der Kultur, und von der Auseinandersetzung der Ökonomie der Knappheit und der Ökonomie des Überflusses, wie sie innerhalb des kulturellen Bereichs selbst auch geführt werden muss, mit Vorteil nicht einfach unberührt lassen. Es geht z.B. um die Frage, wie Leerraum gestaltet oder auch offen gelassen werden kann. Eine Politik, die sich der totalitären Versuchung der Moderne verweigert, muss letztlich auch ihren eigenen Anspruch, das ganze gesellschaftliche Feld zu durchdringen, kritisch einschränken.
Erschienen in der Fabrikzeitung im Juni 2001