Während die kantonale Politik im Sommer etwas Ferien gemacht hat, begann in den letzten Tagen beim Abstimmungskampf um Asyl- und Ausländergesetz bereits deutlich der Schlussspurt. Ernüchternd sicher die im Sonntagsblick vor 11 Tagen publizierte Umfrage. Wie die Titler auf den Anriss „Blocher hat keine Mehrheit“ kamen, bleibt ihr eigenes grosses Geheimnis. Trotz der grossen Zahl an Unentschiedenen wäre ein Erfolg wohl ein Wunder. Ich sage das nicht, um uns zu entmutigen, sondern in der ausdrücklichen Hoffnung, einen Floyd-Landis Effekt zu wecken. Wir brauchen als „Doping“ für die letzten Etappen ganz klar auch das Engagement jener, für die ein Nein zu den Blochergesetzen so selbstverständlich ist, dass sie womöglich noch abzustimmen vergessen.
Statt die lebendige und bunte Kampagne zu loben, möchte ich – auch selbstkritisch – schon jetzt anmerken: Wir, linke und liberale Kreise im weitesten Sinne, haben unabhängig vom Ausgang der Abstimmung eine Chance verpasst. Nämlich die Chance, zum ersten Mal seit Anfang der 80er Jahre ernsthaft eine alternative Ausländerpolitik der Schweiz zum Thema zu machen. Schuld daran waren sicher nicht nur die Vereinfacher von rechts. Auch von links war und bleibt es einfacher, die massiven Verschärfungen des Asylgesetzes anzuprangern, als eine neue Migrationspolitik zu diskutieren. Auch wenn von der Asylpolitik weniger als ein Prozent unserer Bevölkerung (allerdings zum Teil lebensbedrohend) direkt betroffen ist.
Immerhin: hätte man sich, wie Ruth Dreifuss, darauf fokussiert, die Gleichstellung der bereits hier lebenden ImmigrantInnen vorab untereinander und dann auch im Vergleich zu den SchweizerInnen zu fordern, kann ich mir kaum vorstellen, dass dies zu einer innerlinken Zerreissprobe geführt hätte.
Es bleibt: wer den Blochergesetzen – zu Recht – die Verklärung von Repression als Scheinlösung vorwirft, wer ihnen vorwirft, dass sie letztlich das Problem und die Probleme der Illegalisierten nur verschärfen, der müsste andererseits in die Diskussion einzutreten bereit sein, ob denn die Offenheit der Schweiz zwingend und auf immer an den Grenzen der EU aufhören muss? Oder ob eine Lösung nach dem liberalen Motto ?wer Arbeit findet zu anständigen Arbeitsbedingungen, soll auch eine Aufenthaltsbewilligung erhalten? innerhalb der Linken zumindest diskutierbar wäre. Nur so könnten in Anlehnung an die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit allenfalls neue Koalitionen gefunden werden, die welche auch stabile Mehrheiten ermöglichen würden.
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Seit Anfang der Woche nun sind Schul- und damit auch Politferien vorbei. Und das Wahlkarussel im Hinblick auf die Kantons- und Regierungsratswahlen nächsten Frühling beginnt sich schon artig zu drehen.
Den Anfang machte die SVP mit einer von mir unerwarteten und geschickten Nomination. Sie bringt vor allem den Freisinn unter Zugzwang. Sollen sie nun auf einen SVP-Kandidaten, dessen gemässigtes Auftreten auch den freisinnigen WählerInnen gefallen könnte, mit einem Gegenzug reagieren und den eh faktisch arbeitslosen Filippo Leutenegger als polternden Rechtsausleger montieren? Oder drängt man nun doch wieder in die sogenannte Mitte? Jedenfalls ist die Aufgabe nicht einfach, die sich leicht gezähmt gebende SVP in einer guten Position, den Jecker-Sitz zu erben und für Doris Fiala ist auch nach dem Erfolg gegen die Grünen noch nicht einfach alles Gut.
Gefragt sind aber auch Linke und Grüne. Wie sollen sie sich aufstellen? Einzeln antreten, im Schulterschluss, oder gar in einer Art grossen Koalition von Rot-Grün-Mitte? Bei jeder Koalition scheint jedenfalls die SP ein wenig um ihr eigenes Profil zu fürchten.
Das aus dieser Überlegung genährte Liebäugeln von Koni Loepfe mit einer dritten SP Regierungskandidatur haben aus diesem Blatt den Weg in die NZZ gefunden und Kuno Gurtner hat dort auch weitere zustimmende Stimmen aus der SP zitiert. Mahnend dagegen Kantonalpräsident Naef, der zu bedenken gibt, dass die grosse Schlacht wohl um das möglichst deutliche Knacken der absoluten Rechts-Rechtsaussen Mehrheit geschlagen werden müsse.
Eigentlich ist die Situation ja paradox. Die SP-Stadtpartei, im letzten Wahlkampf gouvernemental selbstgefällig auftretend wie nur etwas, mahnt den Oppositionsgeist an. Martin Naef dagegen, der eigentlich der „Oppositionsführer“ sein müsste im Kanton, er erinnert daran, dass die Mehrheit der jetzigen RegierungsrätInnen einmal mit Unterstützung der SP gewählt worden seien. Ob das nun als politisch richtig oder falsch zu werten sei, ob als Stärke oder Schwäche, das muss die SP selbst wissen ?-doch gerade wer es als Stärke interpretiert, wirft sich selbst den Stock nicht allzu hoch.
Ich schaue aus Grüner Sicht dem Frühling wahlkämpferisch motiviert aber gelassen entgegen. Gerade nach den Ankündigungen der EVP, nun auch noch einen offiziellen „Mitte-Block“ schmieden zu wollen, kann man sich auf inhaltliche Auseinandersetzungen freuen. Und hier muss die SP zuerst erklären, ob sie nun mit dieser von ihr propagierten Mehrheit des geringeren Übels im Regierungsrat schon zufrieden ist. Ist sie dies, so stehen die Chancen der Grünen, als Oppositionskraft zuzulegen gut. Ist sie es nicht, dann müsste für eine glaubwürdige Wandelperspektive eine echte rotgrüne Mehrheit her. Und das würde auf jeden Fall auch die aktive Unterstützung einer Kandidatur der Grünen bedingen.
Ich nehme an, dass auch bei der SP nochmals über die Aufstellung geschlafen wird. Man kann jedenfalls auf die nächsten Wochen gespannt sein.
P.S.: Sicher bis Weihnachten erscheinen wöchentlich neu auch Grüne Gedanken. Die Grünen bedanken sich bei PS fürs Gastrecht und bei den LeserInnen für Reaktionen an gruenegedanken@gruene-zh.ch
Balthasar Glättli