1. Augustrede in BubikonLesedauer ca. 7 Minuten

Festrede von Balthasar Glättli am 1. August 2007 in Bubikon (ZH)

Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident, lieber Bruno
Sehr geehrte Frau Gemeinderätin
Sehr geehrte Herren Gemeinderäte
Sehr geehrte Waisenräte
Geschätze Organisatoren vom Hilaria Sultanat
Liebe Einwohnerinnen und Einwohner von Bubikon und Wolfhausen

Die Einladung meiner Heimatgemeinde, hier dieses Jahr die Erstaugust-Rede halten zu dürfen, hat mich gefreut und geehrt. Herzlichen Dank!

Allerdings muss ich Ihnen gestehen, dass ich keine jahrzehntelang geübter Erst-August-Redner bin – als ich das erste und bisher einzige Mal vor fast 10 Jahren eine solche Rede halten durfte, damals noch als frischgewählter und mit 26 Jahren jüngster Gemeinderat der Stadt Zürich, da wurde ich im Nachhinein den Eindruck nicht ganz los, dass ich nicht nur zu lange, sondern vor allem zu länglich, nicht etwa zu hoch sondern schlicht ein bisschen zu abgehoben geredet hätte.

Ich hoffe natürlich für Sie, dass mir das heute nicht passiert. Ich nutzte ja auch bereits meine Ferien, um mir vorgängig Gedanken zu meiner Rede zu machen. In der Hoffnung, aus der Ferne besser zu erkennen, was denn das Besondere unserer Schweiz ausmacht, und was für uns alle wichtig ist.

Meist ist es ja so, dass man das, was man hat, viel zu wenig wertzuschätzen weiss. Wir Politiker, das kann ich als Grüner Ko-Parteipräsident offen sagen, tragen dazu ganz sicher tüchtig bei. Wer will, gerade vor den Wahlen, zugeben, dass eigentlich vieles gut läuft bei uns? Das wäre ja dumm. Die einen wollen den Wählerinnen und Wählern eine bessere Zukunft anpreisen, die natürlich nur dann kommen kann, wenn man bei den Wahlen auch wirklich die richtige Liste einlegt – die anderen preisen Qualitäten der Vergangenheit an, die natürlich nur dank ihrer Partei wieder neu aufleben können.

Das führt mich zu einer kleinen Anekdote. Als ich in Estland in den Ferien war, da habe ich wie gesagt gehofft, den Blick zu schärfen darauf, was wirklich wichtig ist für die Schweiz, für Sie, für uns alle hier als Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz von heute – nicht von gestern, und auch nicht von morgen. Hier in der Schweiz, so hatte man ja in den letzten zwei Monaten das Gefühl, gäbe es eigentlich nur ein einziges wichtiges Problem, und das füllte mit der Zeit nicht nur die Spalten der Sonntagspresse sondern sogar täglich die Zeitungen. Das Problem hat zwar eine grüne Dimension, natürlich, aber es ist nicht – Entwarnung – es ist nicht der Klimawandel. Nein, es ist ein anderes Problem und ich hoffe, dass das Problem dann mit dem morgigen Tag zumindest für das nächste Dreivierteljahr vom Tisch ist. Denn ich konnte seine Tragweite nie richtig verstehen, und ich bin froh, dass ich dabei nicht alleine bin, sondern dass auch Sie dieses Problem nicht ganz nachvollziehen können, denn sonst wären Sie heute nämlich nicht hier. Denn dieses Problem hat natürlich mit dem heutigen Tag zu tun und mit einem Ort, aber nicht mit dem jetzigen Ort, sondern mit dem Ort, der offenbar gleichzeitig umstrittensten und unumstritten symbolträchtigsten Ort der Schweiz überhaupt ist, nämlich mit dem Rütli. Das Sommertheater mit den vertauschten Rollen ums Rütli kann ich auch jetzt noch nicht ganz nachvollziehen, So bin ich also nach Estland gegangen, mit dem festen Vorsatz, von der Fixierung auf das Rütli loszukommen. Mit dem festen Vorsatz, den Rest der Schweiz ins Zentrum meiner Überlegungen und meiner Rede zu stellen. Den Rest der Schweiz, oder – weil eben Heimat ja auch immer einfach der Ort ist, der einem am nächsten ist und weil ja, wie Gotthelf an diesem Tag immer wieder zitiert wird «zuhause beginnen muss, was leuchten soll im Vaterland» – unseren Kanton Zürich, oder Ihnen zuliebe vielleicht sogar die Gemeinde Bubikon. Und raten Sie, was ich in der baltischen Republik antreffe? Sie werden es kaum glauben… jede dritte Strasse, jeder vierte Platz dort heisst … «Rüütli».

Ich musste natürlich in Erfahrung bringen, was denn das heisst, «Rüütli», auf estnisch. Und raten Sie? Ja, natürlich. Es hat etwas mit Bubikon zu tun. Und zwar nicht einfach irgendetwas. Nein. Es hat mit unserer ganz eigenen Geschichte zu tun, die sich ja auch in unserem Gemeindewappen spiegelt. «Rüütli», das heisst nämlich auf estnisch ganz einfach… «Ritter»! Also, sie können getrost sein, sie sind am richtigen Ort hier, um den ersten August zu feiern, liebe Bubikerinnen, liebe Wolfhauser, auch die Gemeinde Bubikon hat quasi ihr eigenes Rüütli, und so mag es wohl auch an unserer Feier sogar die Zipfi Zapfi Buam leiden, auch wenn in meinen Ohren zumindest der Name der Buben nicht grad uuuuuurschweizerisch klingt!

Nach diesem anekdotischen Ausritt ein paar ernste Gedanken, eben zu diesem Thema: Was denn heute bei uns in der Schweiz gut läuft, und warum es aus meiner Sicht ratsamer ist, sich auf seine Stärken zu besinnen, als in Angst zu erstarren.

Ich glaube, dass eine der grössten Stärken unseres Landes unsere offene und demokratische Gesellschaft ist. Und ich bin überzeugt, dass unser offene und demokratische Gesellschaft fähig ist, mit den wirklichen Problemen konstruktiv umzugehen. Darum machen mir nicht die Probleme unseres Landes Angst. Wir können sie lösen.

Sei das die Jugendarbeitslosigkeit, die vielen jungen Menschen das Gefühl gibt, überflüssig zu sein. Sei das der Klimawandel, der vielen erst ins Bewusstsein ruft, dass unsere Erde nicht unendlich gross und verschmutzbar ist und unsere Atmosphäre – wie Al Gore dies anschaulich in seinem Film erklärt – nicht dicker als eine Lackschicht auf einem Globus. Sei das die Herausforderung, auch in Zukunft bei uns wertschaffende und existenzsichernde Arbeitsplätze zu schaffen, trotz der immer fortschreitenden wirtschaftlichen Globalisierung. Sei das die Herausforderung, die sozialen Sicherheitssysteme auf eine Grundlage zu stellen, dass sie auch dann funktionieren, wenn die Babyboomergeneration ins Rentenalter kommt und viel weniger Erwerbstätige für immer mehr Seniorinnen und Senioren sorgen müssen. All diese Herausforderungen sind gross, und es sind auch nicht die einzigen…

Aber Angst machen nicht diese Herausforderungen. Angst macht mir etwas anderes, und es macht mir Angst, weil es genau die Fähigkeit, unsere Probleme überlegt und gemeinsam zu lösen, untergräbt. Angst macht mir die bewusste oder unbewusste Angstmacherei. Angstmacherei verfängt leider oft mehr als echtes Problembewusstsein. Und das ist nicht gut. Denn Angstmacherei findet viel häufiger billige Sündenböcke als echte Lösungen. Und Angstmacherei führt leider häufig dazu, dass vorsorglich genau das abgeschafft wird, was eigentlich gerettet werden soll.

Es stimmt: viele Politiker reden am 1. August von der Freiheit – aber unter dem Jahr kommt dieses Wort weit weniger häufig von ihren Lippen. Stattdessen muss kontrolliert und bestraft werden und erzogen. Überall wird heute einem Überwachungs-, einem Misstrauens-, einem Verbotsstaat das Wort geredet, nicht nur im Bereich der Terrorbekämpfung. Um angeblich unseren Rechtsstaat und unsere Freiheit zu schützen, sollen immer neue Fichen angelegt werden dürfen – diesmal gesetzlich abgesegnet.oUm angeblich unser aller Recht auf eine Existenz in Würde zu schützen, soll jedem Sozialhilfeempfänger mit einer möglichst grossen Portion staatlichen Grundmisstrauens begegnet werden. Um angeblich unsere Religionsfreiheit zu schützen, diskutiert man nun allen Ernstes ein verfassungsmässig verankertes Minarettverbot.

Was haben diese drei und viele weitere Bestrebungen gemeinsam? Sie gleichen doch alle, mehr oder weniger, einem Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Darum meine ich auch – um zum Schluss als Grüner das noch aufzugreifen – darum meine ich auch, dass der Schutz unser Lebensgrundlagen kein Thema sein darf, das über die Schiene der Angstmacherei gepusht wird. Wir sollten Sorge haben und sorgfältig umgehen mit unseren Lebensgrundlagen, mit unserer Natur. Aber Angst und Panik sind hier ein schlechter Ratgeber – genauso wie ihr Gegenstück, die Verdrängung. Wir sollten die Chancen sehen, dass wir vielleicht unsere Probleme auch wirklich packen, auch wirklich lösen können! Wenn wir an das nicht glauben, dann könnten wir ja eigentlich ebenso gut grad «den Löffel abgeben»…

Das meinte ich zu Beginn, als ich Anpreisungen einer angeblich besseren Zukunft, die Sehnsucht nach einer angeblich besseren Vergangenheit kritisiert habe. Probleme können in der Vergangenheit liegen, oder in der Zukunft drohen – lösen können wir sie nur in der Gegenwart, im Jetzt. Durch einen sorgfältigen, respektvollen und fairen Umgang miteinander, mit unserer Mit- und unserer Umwelt. Ich wünsche Ihnen in dem Sinne allen den Mut, in der Gegenwart zu leben. Das Rütli das für uns wichtig ist, ist keine historische Wiese – ob mit oder ohne Kuhdreck gedacht – nein, es ist die Herausforderung, unsere Probleme jetzt, konkret und gemeinsam anzupacken, sei’s im Kleinen, persönlichen, oder im grösseren, gesellschaftlichen und politischen Umfeld. Ich bin überzeugt: mit dieser mutigen Haltung können wir sie, Schritt um Schritt, auch lösen.