Am Samstag, 26.2., fand auch in Zürich eine Demo gegen die Diktatur Ghadhafis statt. Ich wurde für eine kurze Rede eingeladen.
Hier die Rede in einer (schlechten) Aufnahme.
Das Redemanuskript (von dem ich teilweise abgewichen bin):
Liebe Anwesende
Ich teile eure Wut, eure Trauer – aber auch eure Hoffnung, dass das Blutvergiessen in Libyen wenigstens rasch von einer neuen Phase, von einer Phase der demokratischen Selbstbestimmung gefolgt werden wird. So wie wir das auch erhoffen für die andern arabischen Länder, die aufgestanden sind.
Meine Hoffnung setze ich hier vor allem auf die Jugend, denn sie ist es ja, die überall wesentlich beteiligt war und ist, sie ist es, die ein Leben mit Zukunft einfordert!
Unsere Kritik an der libysche Diktatur, unsere Empörung darüber und unsere Solidaritätsadressen an die libysche Zivilbevölkerung sind aber heuchlerisch und zynisch, wenn wir nicht auch die Kritik am Umgang Europas mit Libyen laut und deutlich formulieren.
Noch letztes Jahr war die Europäische Kommission bereit, Ghadhafis Diktatur für drei Jahre mit 50 Millionen EURO zu unterstützen – wofür? Es ging darum, Tripolis zu unterstützen, damit sie Flüchtlinge aus Afrika daran hindern können, nach Libyen zu kommen oder durch Libyen nach Europa! Erst diese Woche wurden Vertragsverhandlungen der EU mit Libyen über ein Rahmen-Rückübernahme-Abkommen – nicht wie bisher mit Italien, sondern mit der EU – unterbrochen. [1]
Das zeigt: Dem «Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts» wie es sich so schön nennt, waren lange Jahre autoritäre Regimes vor den eigenen Toren willkommen, solange sie sich in den Dienst Europäischer Ziele stellten. Genau gleich, wie die USA das autoritäre Regime in Ägypten gerne dazu benutzt hat, um Personen samt einer Liste von Fragen zu überstellen – damit sie dort gefoltert werden könnten, ohne dass sich Amerikaner direkt die Hände schmutzig machen müssten.
Auch die Schweiz hat – neben dem richtigen und wichtigen raschen Einfrieren möglicher Vermögen des Ghadhafi Clans – nichts Wichtigeres zu tun gewusst, als die Kontrollen bei den Grenzübergängen in Chiasso und Genf zu verstärken und der EU Experten zu stellen, die mithelfen sollen, Flüchtlinge aus Libyen möglichst rasch wieder aus den Augen und aus dem Sinn zu spedieren.
Ja, leider müssen wir ehrlich konstatieren: Dort, wo sich nicht die Bevölkerung gegen die eigene Regierung erfolgreich auflehnt, dort wird Appeasement-Politik des Westens auch künftig Trumpf sein. Genauso wie sogenannt «Humanitäre Interventionen» oft ganz andere Gründe haben als die edlen, die vorgeschobenen, genauso heisst das Ausbleiben von humanitären Interventionen noch lange nicht, dass keine humanitären Katastrophen stattfinden würden!
Ja, darum haben auch wir zu tun, wir hier. Und zwar bleibend und dauernd, nicht nur und nicht erst, wenn die weltweite Medienöffentlichkeit die Katastrophen in aller Bewusstsein drängt. Auch wir müssen und können uns einsetzen, hier in der Schweiz und in Europa, damit nicht unsere Regierungen sich nach dem Motto verhalten: Menschenrechte sind etwas für die wenigen EuropäerInnen, die ihnen würdig sind – aber Menschenrechte haben nichts zu suchen, wenn aussenpolitische Interessen oder noch viel banaler, wenn die Geschäfte von ihnen behindert würden. Dieses Motto ist nicht nur moralisch fragwürdig, nein, es rüttelt auch an einem inhaltlichen Fundament der Menschenrechte, nämlich der fundamentalen Überzeugung, dass jeder Mensch gleichwertig ist, und darum die gleichen Rechte verdient – sei es nun ein arbeitsloser libyscher Jugendlicher oder ein Schweizer Grossverdiener, gehöre er nun dem Islam, dem Christen- oder dem Judentum an oder sei er Atheist.
Die Massen auf den Strassen erst haben Europa gezwungen, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass wir unsere eigenen Werte verraten mit unserem Verhalten in Nordafrika und im Nahen Osten.
Diesen Mittwoch erst stoppte die EU den Waffenexport – und da stellt man sich natürlich die Fragen, woher Ghadhafi und seine verbliebenen Anhänger die Waffen haben, die sie nun gegen die eigene Bevölkerung einsetzen? Verschiedene Zeitungen [2] haben es berichtet: Noch 2009 erteilte die EU Exportlizenzen für Waffen im Wert von 344 Millionen Euro. Nach dem jüngsten, im Januar veröffentlichten Jahresbericht sind Italien (das für 112 Millionen Euro Waffen lieferte) und Malta die größten europäischen Waffenlieferanten an Libyen, gefolgt von Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Vor diesem Hintergrund tönt die Agenturmeldung, die ich diesen Mittag noch im Internet lesen konnte, eher zynisch: «Die menschenverachtende Politik von Staatschef Muammar al-Gaddafi müsse ein Ende haben, betonten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister David Cameron, die am Samstag miteinander telefonierten.»
Schon fast erschreckend ehrlich sind da im Gegensatz die Russen, die sich kaum zu den Entwicklungen in Libyen verlauten lassen. Bei ihnen bestellte Tripolis ja erst im letzten Jahr noch Waffen gar im Wert von 1,5 Milliarden Euro…
Die Waffenlieferungen können wir nicht persönlich boykottieren, aber eine andere Frage stellt sich ganz direkt: Sollten wir den Kauf Libyschen Erdöls boykottieren, so wie es die deutschen Grünen nun gefordert haben. Ich sagte heute auf eine entsprechende Frage eines Radios ja, wir sollten diesen kleinen Hebel nutzen – aber wir müssen uns bewusst sein: wenn am libyschen Öl Blut klebt, so klebt ebenso der Unterdrückungs-Geist absolut autoritärer Staatsgewalt am Öl aus Saudiaraben, aus den arabischen Emiraten. Es gibt kein „sauberes Öl“ aus dem ganzen arabischen Raum, auf das wir guten Gewissens ausweichen könnten…
Darum gilt: Solange unsere Erdölgesellschaft sich nicht aus den Fängen der Ölabhängigkeit befreit, solange werden wir auch Mit-Gefangene und Mit-Verantwortliche der autoritären Strukturen sein, die die Macht in den Ölländern sichern!
Befreien wir uns von dieser unserer Abhängigkeit – und unterstützen wir auch damit jene Gesellschaften, die sich aus ihrer Abhängigkeit befreien!
QUELLEN:
- Vgl. das ECRE (European Council on Refugees and Exiles) Weekly Bulletin 25 February 2011, «Safe haven for people fleeing bloodshed in Libya», online unter http://bit.ly/ecre20110225
- Ich stützte mich beim Verfassen der Rede auf einen Bericht des Handelsblatts: http://bit.ly/handelsblatt20110223, vgl. auch die Angaben in Spiegel Online