ACTA Kritik: es geht um mehr als „Internet-Freiheit“Lesedauer ca. 5 Minuten

Worum geht es bei ACTA? ACTA heisst „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“, also „Anti-Fälschungs Handelsabkommen“. Juristisch gesehen bedeutet Fälschung allerdings nicht nur eine (möglicherweise auch minderwertige oder gefährliche) Nachahmung eines Originals, sondern ganz grundsätzlich die Verletzung von Urheber- oder Markenrechten. Hier ein Versuch, die verschiedenen Kritikpunkte zusammenzufassen.ACTA basiert auf dem TRIPS/ADPIC Abkommen der WTO/OMC. Es fokussiert primär auf Massnahmen im Bereich der Durchsetzung bestehender Regelungen. ACTA wurde von verschiedenen Ländern[i] seit 2008 unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ausserhalb der eigentlich zuständigen internationalen Organisationen World Trade Organization (WTO) und WIPO ausgehandelt. Nun steht die Ratifizierung an. Der Bundesrat hat seine gemäss meinen Quellen vorhandenen Pläne, das Abkommen ohne Konsultation des Parlaments zu ratifizieren, fallen gelassen. Der Bundesrat wird das Abkommen wohl bald unterzeichnen, danach wird es eine Vernehmlassung geben und Ende 2012 oder Anfang 2013 wird dann die Botschaft in die WAK kommen.

A. Kritikpunkte

Bezüglich der Auswirkungen auf die bestehende Gesetzgebung der Vertragsstaaten bestehen juristisch stark divergierende Positionen. Kritisiert wird auch, dass ein kleines ACTA-Komitee vorgesehen ist, das weiterführende Änderungen vornehmen kann. Dadurch könnten auch Verschärfungen, die aus dem definitiven Abkommen entfernt wurden, nachträglich wieder eingeführt werden.

Unklare Formulierungen zum Grundrechtsschutz / Inkompatibilität mit EMRK

Acta enthält viele vage Formulierungen. Diesbezügliche Auslegungsfragen müssten künftig unter Beizug der Verhandlungs-Protokolle geklärt werden. Allerdings wurden die entsprechenden Protokolle bis heute nicht veröffentlicht. Amnesty Internationals Senior Director of International Law and Policy at Amnesty International, Widney Brown, kritisiert insbesondere den irreführenden Gebrauch von juristisch nicht definierten Begriffen bei der Formulierung der Rechte der Angeschuldigten.[ii]

Ein Gutachten im Auftrag der Grünen Fraktion im Europaparlament bestreitet zudem, dass ACTA mit der EMRK kompatibel ist.[iii]

Generika in Entwicklungs- und Schwellenländern (Kritikpunkt der EvB)[iv]

Generika-Medikamente, die ähnlich heissen oder aussehen, wie ein Original-Medikament, können beim Grenzübertritt künftig leichter beschlagnahmt werden. Die medizinische Versorgung von Entwicklungs- und Schwellenländern ist aber sehr stark von den günstigeren Generika abhängig, und mit ACTA kann diese Versorgung sehr stark behindert werden, auch wenn der Bereich der Patente hier ausgeklammert wurde und nur über Markenschutz

Patentierung von Saatgut – Durchsetzung des Handelsverbots

Um Saatgut hat sich eine ähnliche Industrie entwickelt, wie um die Medikamenten-Entwicklung. Konkret lässt z.B. Monsanto eine Weizen-Art patentieren, die von indischen Bauern in jahrelanger Arbeit gezüchtet wurde, aber natürlich von diesen nicht patentiert wurde. Es wird befürchtet, dass nun Firmen unter dem Vorwand, Produktepiraterie zu bekämpfen, entsprechende Lieferungen blockieren können.

Behinderung von Innovation und Forschung

Im Bereich der Wissenschaft wird kritisiert, dass ACTA auf jegliche Art von Informationen, wie Daten und Forschungsresultate angewendet werden könne und damit die Forschunsfreiheit behindere. Der ETH soll es z.B. verboten werden ihren Dokumentenscandienst anzubieten, bei dem wissenschaftliche Artikel von der Bibliothek gescannt und dem Benutzer für den internen Gebrauch zur Verfügung gestellt werden.[v]

Drohende Überwachung und Gefährdung der freien Meinungsäusserung

Wenn die Urheberrechte im Internet umfassend geschützt werden sollen, muss der Daten­verkehr auch umfassend überwacht werden, und jegliche Datenübertragung auf mögliche Verstösse überprüft werden. Von diesem Punkt ist es mit dem entsprechenden politischen Willen nur noch ein kleiner Schritt zur Zensur von missliebigen Meinungen auf dem Internet.

Zwar sind die entsprechenden Formulierungen zu «kann»-Bestimmungen entschärft worden.  Allerdings ist zu befürchten, dass die Annahme von ACTA unter dem Druck der Industrie entsprechende nationale Gesetzgebungen legitimiert.

B. Falsche Vorwürfe

Ursprünglich waren in ACTA Netzsperren für Urheberrechtsverletzter (Three Strikes Rule, Loi Hadopi) und weitgehende Überwachungspflichten für Provider vorgesehen. Diese sind im definitiven Abkommenstext nichtmehr zwingend vorgeschrieben. Das eidg. Institut für geistiges Eigentum IGE/IPI betont auch, dass sich in der Schweiz die Rechtslage im Bereich des heute legalen rein privaten Downloads/Konsums urheberrechtsgeschützter Inhalte aufgrund von ACTA nicht ändert.

Stand 18.2.2012


[i] Australien, Europäische Union (vertreten durch die EU-Kommission) und ihre Mitgliedsstaaten, Japan, Jordanien, Kanada, Marokko, Mexiko, Neuseeland, Schweiz, Singapur, Südkorea, Vereinigte Arabische Emirate, USA. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien haben sich bereits nach der ersten Verhandlungsrunde zurückgezogen. Nach den aktuellen Massenprotesten haben trotz ursprünglicher Zusage die Länder Lettland, Polen, Slowakei, Tschechien, Österreich, Bulgarien, die Niederlande, Litauen und Deutschland die Ratifizierung vorerst gestoppt.

[ii] Position Amnesty International, http://glätt.li/w4oqh3 10.2.2012; vgl. dazu auch NZZ vom 14.2.2012, http://glätt.li/Ah840q ): Amnesty International is also gravely concerned about the ACTA’s vague and meaningless safeguards. Instead of using well-defined and accepted terminology, the text refers to concepts such as «fundamental principles» and even invents a concept of «fair process», which currently has no definition in international law. «Worryingly, ACTA’s text does not even contain references to safeguards like ‘fundamental rights’, ‘fair use’, or ‘due process’, which are universally understood and clearly defined in international law,» said Widney Brown.

[iii] Douwe Korff & Ian Brown : OPINION on the compatibility of the Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) with the European Convention on Human Rights & the EU Charter of Fundamental Rights. Prepared at the request of the Greens/European Free Alliance group in the European Parliament. http://glätt.li/wcogx3 (PDF, 18.2.2012)

[iv] Medienmitteilung Erklärung von Bern, http://www.evb.ch/p25019880.html, 10.2.2012. Dossier: www.ladb.ch/acta

[v] vgl. den Blogeintrag der Alternativen Liste: http://al-zh.ch/aktuelles/artikel/article/acta-alle-sind-dagegen-aber-um-was-gehts-eigentlich.html