Ein foraus-Diskussionspapier hinterfragt die verbreitete Meinung, Entwicklungszusammenarbeit sei ein Beitrag zur Migrationsverhinderung. Ich plädiere für eine differenzierte Diskussion.
Es ist eine Binsenwahrheit, dass unsere repressive Zuwanderungspolitik, welche im Grundsatz nur Zuwanderung aus dem EU-Raum zulässt, das selbst gesteckte Ziel nicht erreicht: Arbeitsmigration aus Drittstaaten zu verhindern. Je nach Studie wird davon ausgegangen, dass zwischen knapp 100’000 oder gar über 200’000 sogenannt primäre Sans-Papiers in der Schweiz leben. Menschen, die ohne Aufenthaltsbewilligung hier leben um zu arbeiten – und die auch nie eine Aufenthaltsbewilligung beantragt haben, weil sie wissen, dass es dazu keine Chance gibt (mehr Infos dazu auf www.sans-papiers.ch).
Viele auch linke PolitikerInnen argumentieren nun umgekehrt damit, es brauche statt (oder allenfalls als Ergänzung) zur Repression auch die Unterstützung vorab in den ärmsten Herkunftsländern. Entwicklungszusammenarbeit als Migrationseindämmung. Ganz problematische Urständ feiert diese Haltung, wenn Entwicklungszusammenarbeit gar daran geknüpft werden soll, ob ein Land Rückübernahmeabkommen im Asylbereich unterzeichnet – ich habe dies bereits kritisiert (und dabei auch eine schwache Form der von foraus kritisierten Argumentation verwendet).
Das foraus-Diskussionspapier trägt nun Argumente zusammen, die den Zusammenhang „Mehr Entwicklungszusammenarbeit – weniger Migration“ nicht nur hinterfragen sondern eigentlich das Gegenteil postulieren: Erst ab einem gewissen Wohlstand findet Arbeitsmigration im grösseren Stil statt. Eine spannende Schlussfolgerung, welche allerdings auch eine beliebte Rechtfertigung der Entwicklungszusammenarbeit untergräbt.
Ist dies nun wirklich ein Grund, die Entwicklungszusammenarbeit zu hinterfragen? Nein. Denn einerseits ist die Armutsbekämpfung ein Ziel für sich, das wir weiter verfolgen sollten. Zweitens sollte unsere Entwicklungszusammenarbeit auch darauf hin ausgerichtet sein, dass die riesigen Einkommens- und Vermögensscheren in den unterstützten Ländern und Regionen kleiner werden. Denn gerechtere Gesellschaften funktionieren besser. Und drittens sollte uns die Erkenntnis, dass die Migration gerade auch den Herkunftsländern – durch die grossen Geldrückflüsse – etwas bringt, eher dazu führen, unsere eigene Ausländerpolitik zu überdenken. Wäre es nicht sinnvoll, sich auch über Modelle Gedanken zu machen, welche den legalen Zugang zum Arbeitsmarkt auch aus Drittstaaten vereinfachen? Und wäre es nicht sinnvoll, auch die Option sogenannt „zirkulärer Migration“ seriös zu debattieren, d.h. Personen, die in die Schweiz kommen, eine Ausbildung erhalten, eine zeitlang hier leben, arbeiten und Geld verdienen und dann das gesammelte Wissen und Kapital wieder in ihrem Herkunftsland einbringen?
Übrigens – etwas off topic, aber dennoch passend: Eine massive Hilfe zur Selbsthilfe für Entwicklungsländer wäre es, wenn die Schweiz nicht länger Hand zur Steuerhinterziehung der reichen Oberschicht von Entwicklungsländern bieten würde. 2009 schätzte Alliance Sud die in der Schweiz parkierten Vermögen der Reichsten aus Entwicklungsländern auf 360 Milliarden Franken – bei einem angenommenen Ertrag von 5% und einem Steuersatz von 35% darauf käme so jährlich das dreifache der offiziellen Entwicklungshilfe der Schweiz zusammen, nämlich 6 Milliarden Franken.