SVP und PersonenfreizügigkeitLesedauer ca. 3 Minuten

Die SVP wird nicht müde, den anderen Parteien Blauäugigkeit vorzuwerfen, weil sie der Personenfreizügigkeit zustimmten. Dabei war es die neoliberale SVP, die 2004 den Antrag stellte, auf die Revision der flankierenden Massnahmen NICHT einzutreten.

Die Quelle ist unverdächtig: das offizielle amtliche Bulletin, also die Wortprotokolle des National- und Ständerats. Hier ist festgehalten, wie Luzi Stamm am 8.12.2004 den Antrag begründet, auf die Vorlage 04.067 nicht einzutreten:

Stamm Luzi (V, AG): Wir müssen heute einerseits über diesen Bundesbeschluss zur Ausdehnung des ganzen Abkommens befinden, und andererseits geht es um das Bundesgesetz zur Revision der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Auf diesen Teil bezieht sich der Nichteintretensantrag, den ich hier namens der Minderheit vertrete.
Die SVP hat erstens in den letzten Jahren immer die Haltung eingenommen, die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf neue Länder komme nicht infrage, wenn man sie vorschnell mache, ohne vorher Erfahrungen zu sammeln – Sie haben eben gehört, was mein Vorredner gesagt hat. Zweitens hat die SVP immer gesagt, dass es nicht infrage komme, den Gehalt der flankierenden Massnahmen sozusagen auf Vorrat auszudehnen, bevor wir die notwendigen Erfahrungen haben [Hervorhebung: B.G.].
Seit dem 1. Juni 2004 sickern nun langsam erste Erfahrungen durch. Es ist aber viel zu früh, um seriös sagen zu können, man brauche dies oder jenes als zusätzliche flankierende Massnahmen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich in dieser Spezialkommission Personenfreizügigkeit, in welcher die flankierenden Massnahmen besprochen wurden, eine ganz eigenartige Erfahrung gemacht habe: Ich habe es noch nie gesehen, dass so viele Anträge noch schnell ad hoc eingereicht und wieder zurückgezogen wurden, weil man eben selbst nicht sicher ist, was es braucht und was für Missstände überhaupt vorhanden sind. Es ist also dringend notwendig, dass wir materielle Ausdehnungen nicht jetzt vornehmen; man kann – wir reden über innerschweizerisches Recht – immer noch später eine Ausdehnung vornehmen, wenn sich später eine Notwendigkeit dazu ergäbe.
Es ist im Zusammenhang mit dem freien Personenverkehr ganz generell daran zu denken, dass sich Probleme vor allem bei den Selbstständigerwerbenden stellen. Dort – es tut mir Leid, Ihnen das sagen zu müssen – nützen alle flankierenden Massnahmen nichts. Die resultierende Nivellierung nach unten ist ein ökonomisches Gesetz. Wenn Sie zwischen einem reichen Land und einem armen Land die Personenfreizügigkeit einführen, dann gibt es todsicher eine Nivellierung. Das ist nicht nur ein ökonomisches, sondern ein ganz allgemeines Gesetz. Wasser nivelliert sich sofort, bei Honig dauert es ein bisschen länger. Beim freien Personenverkehr dauert es vielleicht sogar sehr lange, aber die Nivellierung kommt ohnehin. Sie kommt vor allem via Selbstständigerwerbende, via „Ich-AG“, die sich zu Tiefstpreisen anbieten – das zeigt das Beispiel Deutschland und Polen mit beeindruckender Deutlichkeit.
Da nützen flankierende Massnahmen leider überhaupt nichts. Ich würde davor warnen, dass Sie ein ganzes Bündel von flankierenden Massnahmen einführen, die zwar hemmend und bürokratisch sind, die aber das Kernproblem des Nivellierens mit Sicherheit nicht eliminieren können.
Der bisherige, flexible Arbeitsmarkt der Schweiz ist einer der wenigen Trümpfe, die unser Werkplatz noch hat. Das ist einer der Gründe, weshalb die Schweiz wenigstens noch einen höheren Wohlstand hat als andere [Hervorhebung: B.G.]. Es wäre ein verheerender Fehler, wenn wir die schmerzliche Entwicklung in Deutschland nachvollziehen würden, die Entwicklung, die da heisst: „runter mit Deutschland, rauf mit Polen, Nivellierung mit Hilfe der Personenfreizügigkeit“. Das ist ein gefährliches Manöver.
Ich bitte Sie deshalb, auf diese Vorlage nicht einzutreten. Ich bitte Sie, seriös zu prüfen, was sich nun ab dem 1. Juni 2004 entwickelt. Die sieben Monate sind für eine Beurteilung zu kurz. Wir werden schauen müssen, welche wirklichen Missstände sich heranbilden, die mit flankierenden Massnahmen überhaupt korrigierbar sind. Dann könnte man allenfalls immer noch neue Gesetzesbestimmungen „importieren“. Im jetzigen Zeitpunkt wäre es nicht seriös, aus der Hüfte zu schiessen und die flankierenden Massnahmen, die wir mit den 15 bisherigen EU-Staaten haben, auf Vorrat auszudehnen. Deshalb bitte ich Sie namens der Minderheit, auf die Vorlage nicht einzutreten.