Das Urteil kam nicht ganz unerwartet. Und ist doch sensationell: Der EuGH setzt die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ausser Kraft. Setzt sich nun der Datenschutz für unbescholtene BürgerInnen auch in der Schweiz durch?
Der 8. April 2014 hat das Zeug, als wichtiger Tag in die Geschichte des Datenschutzes einzugehen. Der Europäische Gerichtshof hielt fest:
…die den Anbietern öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste und den Betreibern eines öffentlichen Kommunikationsnetzes durch die Art. 3 und 6 der Richtlinie 2006/24 auferlegte Pflicht, die […] aufgeführten Daten über das Privatleben einer Person und ihre Kommunikationsvorgänge während eines bestimmten Zeitraums auf Vorrat zu speichern, [stellt] als solche einen Eingriff in die durch Art. 7 der Charta [d.h. der Charta der Grundrechte der Europäischen Union] garantierten Rechte dar[…]. RZ 34
Er wägt dann diesen verdachtslosen Eingriff gegenüber allen BürgerInnen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung ab und kommt zum Schluss:
Aus der Gesamtheit der vorstehenden Erwägungen ist zu schließen, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 2006/24 die Grenzen überschritten hat, die er zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta einhalten musste. RZ 69
Entsprechend urteilt er:
Die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG ist ungültig.
Dieses Urteil (C_0293_2012-DE-ARR als PDF – die offizielle Erläuterung inProsa dazu gibt es hier als PDF) kommt zu einem Zeitpunkt, da in der Schweiz die schon seit lange geltende und auch schon oft kritisierte verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung von sechs auf zwölf Monate verdoppelt werden soll. Die pikante Frage: Folgt die Rechtskommission des Nationalrats und der Nationalrat selbst bei der Büpf-Revision dennoch der Haltung der Ständeratsmehrheit, welche sehr unkritisch die Wünsche des Bundesrates durchwinkte? Oder gelingt es, die Debatte neu zu lancieren, ob eine Speicherung von Verkehrs- und Ortsdaten (Telefon, Handy, Internet) ohne jeglichen Verdacht nicht auch in der Schweiz endlich verboten werden muss?
Auch wenn der EuGH-Entscheid natürlich für die Schweiz keinerlei rechtliche Relevanz hat: Wir kennen die entsprechenden Grundrechte auf Privatsphäre und das Verhältnismässigkeitsprinzip auch. D.h. mit der Argumentation des EuGH könnte man auch im Rahmen des Schweizerischen Rechts und der EMRK zum Schluss kommen, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht auszuweiten, sondern im Gegenteil ganz zu streichen sei. Ich hoffe auf die Rechtskommission (RK-N) und den Nationalrat – und Mehrheiten einer bunten Koalition von Bürgerrechts-Liberalen und Überwachungsstaats-Skeptikern.
P.S.: Ich stelle in den nächsten Tagen ein Dossier zum BÜPF zusammen, bereits heute hat es einige interessante weiterführende Links.