E-Mail-Debatte in der NZZ am Sonntag vom 5. Oktober 2014: Gerhard Pfister warnt die Grünen vor der programmfreien GLP. Balthasar Glättli reagiert als kühler Machtpolitiker. Ist das Bündnis klug? Oder einfach verlogen?
Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, man vernimmt in letzter Zeit Schalmeienklänge zwischen den Grünen und den Grünliberalen (GLP). Das ist doch einigermassen überraschend. Ist das wiederentdeckte alte Liebe, nach Überwindung des Trennungsschmerzes? Politisches Kalkül? Gier nach einem Bundesratssitz? Oder einfach die verzweifelte Suche nach potenziellen Wählerstimmen links, rechts, in der Mitte und an den Rändern? Aus eigener Erfahrung mit den Grünliberalen möchte ich Sie warnen. Es ist auch meiner Partei schlecht bekommen, mit der programmfreien GLP zu fraternisieren. Sobald Martin Bäumle, der Präsident der Grünliberalen, die Grünen als Steigbügel benutzt hat, um zu nützlichen Listenverbindungen zu kommen, wird er Sie nach den Wahlen von 2015 nicht mehr besonders liebenswert finden und im Regen stehen lassen.
Balthasar Glättli: Werter Kollege! Mit Listenverbindungen hatte der gemeinsame Auftritt von Martin Bäumle und mir am Sonntag vor einer Woche überhaupt nichts zu tun. Im Gegensatz zum Präsidenten der CVP wissen wir beide, dass diese nicht auf dem Schachbrett in Bern, sondern vorab in den Kantonen entschieden werden, jedenfalls bei den Grünen. Auch Liebe ist es nicht. Sondern die Einsicht, dass wir unsere Beziehung normalisieren müssen. Ohne die Differenzen zu verwedeln. Sollen wir dort, wo wir tatsächlich am gleichen Strick ziehen, nicht zusammen auftreten? Bei der Energiewende sind ja CVP und BDP vor den letzten Wahlen als Tiger gesprungen – um nun als Bettvorleger zu landen. Darum braucht es geeinte ökologische Kräfte. Notfalls, wie bei der Energiesteuer, selbst gegen die SP – auch wenn wir diese lieber mit im Boot hätten.
Gerhard Pfister: Bäumles Aussage, zusammen hätten GLP und GPS einen legitimeren Anspruch auf einen Bundesratssitz als die FDP auf deren zwei, ist aber ein vergifteter Apfel für Sie. Zudem machen die Grünen mit ihrem klaren Linksprofil einfach viel mehr her als politische Gegner der Bürgerlichen als die Grünliberalen. Sie schrieben ja selbst einmal, die GLP werde vor allem von links stehenden Wählern unterstützt, sei aber nicht links. Dem stimme ich zu, mit der Ergänzung, dass «nicht links» keineswegs den Umkehrschluss «bürgerlich» erlaubt. Die Grünliberalen sind weder links noch bürgerlich noch Mitte. Sondern ein luftiges Versprechen, dass Umweltschutz völlig schmerz- und verzichtfrei einhergehen könne mit einer hedonistischen Lebensweise und zwei Offroadern an der Goldküste.
Balthasar Glättli: Sie warnen vor dem vergifteten Apfel der Grünliberalen – aber Ihre Empfehlungen an die Grünen vom rechten Rand der CVP her soll ich als Akt purer Nächstenliebe verbuchen? Da schmunzle ich. Richtig ist: Die Grünen haben ein klares Profil. Auch sozialpolitisch und in Migrationsfragen. Das ist gut so. Im Gegensatz zu Waschmittelherstellern sollten politische Parteien nicht ihr Produkt dem Geschmack der Käufer anpassen, bloss um mehr Marktanteile zu haben. Das sagte ich 2011 nach meiner Wahl. Und glaube es heute noch. Doch eben darum brauchen politische Parteien auch Partner: für wechselnde Mehrheiten.
Gerhard Pfister: Wohl wahr. Aber die Grünliberalen bleiben auch hier unfassbar: Sie mussten ihre Versprechen noch nie einlösen. Das finanzpolitische Hardlinertum der GLP ist doch lediglich Kulissenschieberei. Wollen Sie nicht noch abwarten, bis die Widersprüche Ihres neuen Verehrers klarer zutage treten? Ihr natürlicher Allianzpartner ist doch die SP. Soll man denn um des reinen Machterhalts willen mit sämtlichen Parteien, die einem nützen, Listenverbindungen eingehen? Oder gibt es da für Sie eine Grenze? Und wenn ja, welche sind das?
Balthasar Glättli: Das asoziale finanzpolitische Hardlinertum der GLP ist durchaus real – auch in den Kantonen! Gott sei Dank gibt es dort Grüne, die klar Kontra geben. Listenverbindungen werden von mir nicht geliebt, sondern gerechnet. Mit Grenzen, klar: Eine Listenverbindung mit der SVP ist ein No-Go. Umgekehrt ist es dumm, wenn die Grünen als kleinerer Allianzpartner sich der SP bedingungslos an die Brust werfen. Entweder rechnet man jeden Kanton für sich. Oder dann müssen Vor- und Nachteile sich über die Kantone hinweg ausgleichen. In einigen Kantonen könnte auch eine grosse Verbindung SP-Grüne-Grünliberale interessant sein…
Gerhard Pfister: «Interessant» sicher, wenn der Machterhalt jedes Mittel rechtfertigt. Mit einer solchen Verbindung würde die Linke die diffuse Programmatik der GLP nur kaschieren helfen. Ich wusste gar nicht, dass die christliche Nächstenliebe im linken Lager Fuss gefasst hat. Immerhin würde dies die GLP so weit nach links rücken, dass in der Mitte wieder mehr Platz wäre für das Original dort – die CVP. Deshalb müsste ich Ihnen eigentlich beinahe schon gutes Gelingen wünschen beim Kuscheln mit der GLP.
Balthasar Glättli: Kuscheln wie Kuschen hat in der Politik nichts zu suchen. Machtgewinn ist höchstens Mittel zum Zweck: politische Inhalte zu stärken. Darum rede ich weiter auch zur GLP-Politik Klartext. Ich kritisierte sie fürs Nein zur Zweitwohnungsinitiative. Und bin gespannt, ob sie beim Nachrichtendienstgesetz und neuen Überwachungsmassnahmen den Grundrechtsliberalismus entdeckt. Übrigens fordern Grüne wie GLP schon lange ein Puckelsheim-Wahlsystem, das allen Parteien im Nationalrat eine Vertretung nach ihrer gesamtschweizerischen Wählerstärke gäbe. Ohne Lotterbett-Listenverbindung. Sagen Sie dazu endlich Ja? Bis jetzt war hier der Sitzerhalt für die CVP «interessanter».