E-Mail-Debatte in der NZZ am Sonntag vom 16. November 2014: Gerhard Pfister sagt, warum er Eveline Widmer-Schlumpf auch 2015 nicht wählen wird. Balthasar Glättli sieht hingegen Gemeinsamkeiten mit der BDP – ganz wenige.
Balthasar Glättli: Lieber Kollege, die nächsten Bundesratswahlen stehen zwar erst in einem Jahr an – dennoch hatte man das Gefühl, die Balzrituale zwischen CVP und BDP der letzten Monate zielten auf eine Wahlallianz für Eveline Widmer-Schlupf ab. Nun wurde die Hochzeit abgesagt – heisst das nun, dass Bundesrätin Widmer-Schlumpf Ihre Stimme in einem Jahr nicht mehr bekommt?
Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, ganz vertraulich und nur unter uns: Ich habe diese Bundesrätin nie gewählt und habe nicht vor, es künftig auch nur in Betracht zu ziehen. Ich fand es immer falsch, der SVP den zweiten Sitz im Bundesrat zu verweigern. Es wäre ein grober Fehler, dies der Kleinstpartei BDP weiter zuzugestehen. Die BDP hat die Kooperation mit der CVP abgesagt. Damit wünscht sie offensichtlich die Abwahl von Widmer- Schlumpf. Es gibt keinen Grund, der BDP diesen Wunsch zu versagen.
Balthasar Glättli: Dass eine geplatzte Hochzeit Wunden hinterlässt, ist klar – wobei bei Ihnen ja ganz offensichtlich der Heiratswunsch nicht brennend war und die Enttäuschung darum kaum allzu gross ist. Ob es allerdings schlau ist, aus der Abwahl kompetenter amtierender Bundesrätinnen und Bundesräte eine Tradition zu machen? Da habe ich meine Zweifel!
Gerhard Pfister: Eine gewisse Tradition besteht ja bereits, wenn man an die Abwahlen von Ruth Metzler und Christoph Blocher denkt. Mit der BDP wäre meines Erachtens eine Vernunftehe möglich gewesen, auch für mich. Das ist zwar weniger romantisch als ein Liebesbündnis, dafür möglicherweise dauerhafter. But it takes two to tango. Meines Erachtens muss man im Dezember 2015 zurückkehren zur bewährten Konkordanz: 2 Sitze für die drei stärksten, 1 Sitz für die viertstärkste Partei. Sind die Grünen dabei?
Balthasar Glättli: Die grüne Fraktion hat noch keine Beschlüsse zu den nächsten Bundesratswahlen gefasst. Ich glaube übrigens auch, dass das nicht nur schlecht ist. Weil Bundesratsdebatten vor den Wahlen eher spielerischen Charakter haben und der Unterhaltung von Polit-Aficionados dienen. Die Karten werden am Wahltag im Herbst 2015 real und ganz neu gemischt. Wer in den Wahlen vorwärtsmacht, hat die Legitimation, sich aktiv einzumischen. Wer verliert, ist in einer schwierigeren Position. Klar ist allerdings: Die Grünen haben in der Vergangenheit die alte Zauberformel immer wieder infrage gestellt. Diese führt beispielsweise dazu, dass heute eine FDP mit zwei Sitzen vertreten ist, obwohl sie darauf von der Parteistärke her weniger Anspruch hätte als die Grünen auf einen Sitz.
Gerhard Pfister: Einverstanden, zuerst müssen wir selbst wieder gewählt werden! Aber die BDP hat noch weniger Anspruch auf einen als die FDP auf zwei Sitze. Allerdings ist die BDP im Bundesrat für Sie natürlich nützlicher als die FDP, nicht wahr?
Balthasar Glättli: Tatsächlich ist bei uns der Vorrat an politischen Gemeinsamkeiten mit der BDP in einzelnen Fragen etwas grösser als mit der FDP, da haben Sie wohl recht. Immens ist er allerdings nicht…
Gerhard Pfister: Sehen Sie, was für Sie kommod ist, ist für mich ein Problem. Wir hätten nominell einen Bundesrat mit klar bürgerlicher Mehrheit. Faktisch schafft es die Linke aber immer wieder, in wesentlichen Fragen eine Mehrheit zu bilden. Das hat leider auch mit den jetzigen sogenannten bürgerlichen Bundesräten zu tun. Dennoch: Die BDP-Bundesrätin macht es den Linken leichter, als diese es verdienen. Sie hat keine Hausmacht im Parlament und ist darum abhängig von links.
Balthasar Glättli: Nachtigall ick hör dir trapsen… Die armen Bürgerlichen werden dauernd von Links-Grün in die Minderheit versetzt, wegen der bösen Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Krokodilstränen! Schon SVP, FDP und CVP haben zusammen mit 110 Stimmen die absolute Mehrheit im Nationalrat – Lega, MCG, EVP und CSP sind da bereits abgerechnet. Der Bundesrat ist – wenn schon – abhängig davon, bei SVP, FDP und CVP für seine Vorlagen mindestens zwei Handvoll Stimmen zu finden. Die findet er, weil nicht alle Bürgerlichen «bürgerlich» so nah am rechten Rand verstehen wie Sie. Zum Glück.
Gerhard Pfister: Eben. Kaum ein Land hat derart stabile bürgerliche Mehrheiten, und in kaum einem Land hat es die Linke so leicht. Weil es an einer bürgerlichen Allianz in wichtigen Fragen fehlt. Das ist nicht Ihr Fehler, sondern unserer.
Balthasar Glättli: Ist es ein Fehler? Dass auch bürgerliche Politiker ab und an den Mut zu einem Kompromiss haben, könnte sein Gutes haben. Wir Grünen wie auch die SP wissen aus Erfahrung, dass wir nur gewinnen können, wenn wir auch Brücken bauen. Umso mehr enttäuscht es mich, dass wir für eine Grundrechtspolitik ganz im Sinne der bürgerlichen Revolution heute keine bürgerlichen Partner mehr finden.
Gerhard Pfister: Ich bleibe dabei: Es ist für mich ein Fehler der Bürgerlichen, es der Linken so leicht zu machen. Warum sonst will SP-Präsident Christian Levrat um keinen Preis zurück zur traditionellen Konkordanz? Aber die BDP macht nun einen ersten Schritt hin zu einer Korrektur. Das Nein zur Union mit der CVP heisst: Frau Widmer-Schlumpf will ihre Amtszeit spätestens Ende 2015 beenden. Und da halte ich es mit Schiller: Der Dame kann geholfen werden.