Pfister: «Wir wiederholen da die Fehler Deutschlands»Lesedauer ca. 4 Minuten

E-Mail-Debatte in der NZZ am Sonntag vom 30. November 2014. Gerhard Pfister ist gegen den Atomausstieg und warnt vor parlamentarischer Hybris. Balthasar Glättli hingegen sieht sich kurz vor seinem energiepolitischen Ziel.

Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, haben Sie den Champagner schon kaltgestellt?

Balthasar Glättli: Als unverbesserlicher Optimist habe ich das natürlich getan. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt… Immerhin haben – ausser der SVP und der FDP – alle Parteien nach Fukushima versprochen, einen verbindlichen Atomausstieg voranzutreiben. Schon am 30. März 2011 schrieb etwa die «Aargauer Zeitung»: «Für Parteipräsident Christophe Darbellay geht es nicht mehr um die Frage, ob die Schweiz ohne Atomstrom auskommt, sondern wann.» Nun wird sich zeigen, ob man Versprechen hält. Oder ob man mit den Kommissionsmehrheiten stimmt und den Atomausstieg wieder abbläst.

Gerhard Pfister: Sie verstehen es, Salz in die Wunden eines CVPlers zu streuen. Ich habe damals dieser Ausstiegsmotion aus den eigenen Reihen nur aus Parteiräson zugestimmt, contre cœur – und contre raison. Ich bin nicht so beweglich, dass ich einen derart fundamentalen energie- und wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel über Nacht hinkriege. Als Konservativer lasse ich das Neue den Beweis antreten, dass es auch das Bessere ist. Diesen Beweis erbringt die Energiestrategie 2050 nicht. Ich bin Ihnen aber dankbar, dass Sie die Initiative zum Atomausstieg eingereicht haben. Hoffentlich ziehen Sie sie nicht zurück. Denn unterdessen sind ausgerechnet die Grünen Garant dafür, dass der Souverän sich zu dieser parlamentarischen Hybris äussern kann.

Balthasar Glättli: Ich gestehe Ihnen zu: Sie hatten im Wahlkampf 2011 den Mut, auf die Frage von Smartvote, ob Sie bis 2034 alle AKW abstellen wollten, nur mit «eher Ja» zu antworten. Dürfen die Wählerinnen und Wähler aber zumindest von jenen 25 CVPlern, welche damals wie Parteipräsident Darbellay mit einem klaren Ja antworteten, ein entsprechendes Abstimmungsverhalten erwarten? Ich hoffe doch, dass auch Christlichdemokraten zentrale Wahlversprechen ernst nehmen!

Gerhard Pfister: Da kann ich Sie beruhigen. Diese Messe ist gelesen. Das Versprechen fiel leicht, weil seine Einhaltung nicht von den gleichen Leuten verantwortet werden muss, die es gaben. Es ist anmassend, heute Gesetze für 2050 zu beschliessen ohne Verfassungsgrundlage, die eine echte Mitsprache des Souveräns ermöglicht. Ein solch fundamentaler Umbau nur per Gesetz ist Kulissenschieberei und ruinöse Planwirtschaft. Wir wiederholen da die Fehler Deutschlands. Dreckiger Kohlestrom flutet die Schweiz, die heimische Wasserkraft erleidet einen Preiszerfall ohnegleichen. Und das ist nur der Anfang.

Balthasar Glättli: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube: Ich fürchte, die meisten Bürgerlichen werden ihr Versprechen klar brechen. Ein Atomausstieg ohne Datum ist kein Atomausstieg. Das Langzeitbetriebskonzept verankert weiterhin kein fixes Abschaltdatum. Das ist unverantwortlich. Zur Mitsprache: Wie jeder Partei ist es der CVP unbenommen, auch gegen die Energiewende das Referendum zu ergreifen, wenn Ihnen denn eine allfällige Abstimmung über die grüne Atomausstiegsinitiative nicht genug ist. Wir hätten keine Angst davor: Denn die Energiestrategie 2050 wiederholt eben gerade nicht die Fehler von Deutschland.

Gerhard Pfister: Bei dieser Vorlage ist ohnehin mehr Glaubenskraft nötig als Rationalität. Trotzdem kann ich nicht wie ein Ministrant mit dem Weihrauchfass um die Energiestrategie 2050 herum prozessieren. Wir sind die einzigen Politiker auf der Welt, die glauben, für fast 40 Jahre im Voraus legiferieren zu können, als ob wir wüssten, wie die technische Entwicklung bis dahin läuft. Ich teile Ihre Auffassung: Wir sollten zuerst über Ihre Initiative abstimmen. Dann wissen wir, ob das Volk die Abschaltung aller Kernkraftwerke bis 2034 will. Das wäre ehrlicher als das jetzige blinde Hoffen, die Schweizer beim Energieverbrauch per Gesetz in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurückprügeln zu können. Dass ein Referendum an all den monetären Profiteuren scheitern wird, wissen Sie so gut wie ich. Und hier verspricht man unsinnig viel Geld, auf Kosten der Wirtschaft. Ist es auch Unsinn, so hat es doch Methode.

Balthasar Glättli: Blödsinn. Es ist umgekehrt. Seit Jahrzehnten subventioniert der Staat die Hochrisikotechnik der AKW mit Milliarden. Müssten die AKW ihre Risiken am Markt versichern, müsste man sie heute noch abschalten. Atomkraft ist nicht marktfähig. Punkt.

Gerhard Pfister: Aber Sie haben ja den Plan für eine schöne neue und marktfähige Energiezukunft.

Balthasar Glättli: Die Zukunft sind mehr Energieeffizienz und ein höherer Anteil von erneuerbaren Energien. Die Energiestrategie gibt hier die Rahmenbedingungen vor, nicht technische Einzelschritte. Seit Deutschland als Vorreiter voranging, sind die Kosten der neuen erneuerbaren Energien massiv gesunken. Sie sprechen übrigens nur von der Elektrizität. Aber die Energiestrategie soll im Gegensatz zu Deutschland eben nicht AKW durch Kohle und Gas ersetzen. Denn Abhängigkeit von fossiler Energie macht die Schweiz verletzlich. Und kostet. Schweizer Endverbraucher bezahlen heute Monat für Monat über eine Milliarde für Erdöl, Benzin, Erdgas – wohlgemerkt nach Abzug der Fiskalabgaben. Ist es da nicht intelligenter, in Erneuerbare, Gebäudesanierung und Plus-Energie-Häuser zu investieren? Das bringt Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der Schweiz.

Quelle: NZZ am Sonntag, 30.11.2014