«Argumentatives Mühlespiel sehe ich bei den Fans des Geheimdienstes»Lesedauer ca. 4 Minuten

E-Mail-Debatte in der NZZ am Sonntag vom 22. März 2015: Balthasar Glättli tritt radikal für die Privatsphäre ein. Gerhard Pfister würde sich diesen Biss auch wünschen, wenn es um das Bankkundengeheimnis geht.


Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, Ihre Fraktion konnte sich ja diese Woche bei der Debatte um das Nachrichtendienstgesetz profilieren als letzte Bewahrerin der bürgerlichen Freiheit vor dem grossen staatlichen Lauschangriff. Aber Hand aufs Herz: Haben Sie da nicht etwas übertrieben beziehungsweise sich darauf verlassen, dass eine Mehrheit das Gesetz mittragen wird zugunsten der Sicherheit? Lohnte sich Ihre fundamentale Kritik an den doch recht bescheidenen Möglichkeiten, die wir dem Staat angesichts neuer Bedrohungen für unsere Zivilgesellschaft geben müssen?

Balthasar Glättli: Zugegeben, in Einzelfällen bezieht man als Fraktion Grundsatzpositionen, im Wissen darum, dass andere einen brauchbaren Kompromiss durchtragen. Aber der grüne Widerstand gegen den Ausbau des Geheimdiensts gehört nicht in diese Kategorie. Die Geheimdienstdebatte ist falsch aufgegleist. Es geht nicht um Sicherheit versus Freiheit! Mehr Kompetenzen für den Geheimdienst inklusive Internetüberwachung (das Gesetz spricht von «Kabelaufklärung») garantieren ja nicht mehr Sicherheit. Das zeigten gerade die Anschläge in Paris: Die Täter und – im Falle der Redaktion von «Charlie Hebdo» – sogar das potenzielle Ziel waren ja dem Geheimdienst im Voraus bekannt.

Gerhard Pfister: Aus der gescheiterten Prävention der Pariser Anschläge zu folgern, Prävention sei generell unnötig, ist etwas kühn. Natürlich geht es nicht um eine Garantie dafür, dass solches in der Schweiz nicht passieren wird. Trotzdem: Die USA sind seit Jahren potenzielles Ziel von Attentaten, und doch schafften sie es bis jetzt, mehrere Anschläge zu verhindern. Dafür bezahlen sie auch einen hohen Preis, einen massiven Freiheitsabbau. Die von Ihnen bestrittene Prämisse ist für mich eben doch eine entscheidende Grundsatzfrage. Wollen Sie diese nicht doch beantworten?

Balthasar Glättli: Gerne! Zum Beispiel mit diesem Benjamin Franklin zugeschriebenen Zitat: «He who sacrifices freedom for security deserves neither.» Oder in eigenen Worten: Das eigentliche Ziel von Terroristen ist nicht etwa das Töten von Menschen oder die Zerstörung von Infrastruktur. Ihr Ziel ist vielmehr, wie es der Name Terror schon sagt, so viel Angst und Schrecken zu säen, dass sich unsere offene und freiheitliche Gesellschaft selbst zerstört. Wenn wir die Terroristen zu Gesetzgebern machen, hat der Terrorismus gewonnen!

Gerhard Pfister: Machen Sie es sich da nicht allzu leicht? Ist es nicht die Verantwortung der Politik, die Bevölkerung nach bester Möglichkeit zu schützen? Ich bin mir natürlich bewusst, dass Ihre Argumentation die Deutungshoheit besitzt. Passiert etwas, können Sie darauf hinweisen, dass die Prävention nichts nützt. Passiert nichts, ist das ein Beweis dafür, dass die Prävention nicht nötig ist. Das ist argumentatives Mühlespiel. Dennoch: Unser Nachrichtendienst muss ebenfalls den technologischen Schritt ins 21. Jahrhundert machen, den die Terroristen schon längstens hinter sich haben.

Balthasar Glättli: Argumentatives Mühlespiel sehe ich bei den Fans des Geheimdienstes ebenso. Passiert nichts, beweist dies angeblich, dass die Verschärfung gewirkt hat. Passiert etwas, zeigt dies, dass der Geheimdienst noch immer an einer viel zu kurzen Schnüffelleine gehalten wird… Die neu mögliche breite Überwachung des Internets nach Stichworten trifft eben genau nicht Kriminelle, die ihre Inhalte sowieso verschlüsseln, sondern den Datenaustausch und die Kommunikation unbescholtener Bürger und Firmen. Darum wehren sich nicht nur die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, sondern auch der Konsumentenschutz und die Swico, der Wirtschaftsverband für die digitale Schweiz, gegen die Umwandlung unseres Geheimdiensts in eine Mini-NSA.

Gerhard Pfister: Das wird nicht mal ein My des NSA, was wir hier dem Nachrichtendienst an Möglichkeiten geben, und es ist meines Erachtens das absolute Minimum, um den Staat in die Lage zu versetzen, diese neue Art von Kriminalität zu bekämpfen. Die von Ihnen erwähnten Organisationen sind drauf und dran, die finanzielle Privatsphäre aller unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger abzuschaffen! Beim Bankkundengeheimnis nehmen Sie den Zweihänder, bei der Terroristenbekämpfung nicht mal die Pinzette.

Balthasar Glättli: Es ist eben nicht das Gleiche, ob sämtliche elektronische Kommunikation nach Stichwörtern durchsucht wird – oder ob jährlich Saldo und Ertrag von Konten weitergegeben werden, die man sowieso dem Fiskus mitteilen müsste. Aber ich respektiere jene, die auch hier kritisch auf Datenschutz pochen. Umso unverständlicher ist es, wenn sie dann viel weitreichendere Eingriffe in die Privatsphäre abnicken. Neu müssten beispielsweise die Dienstleister der Telekommunikation ihre Verschlüsselungen für den Geheimdienst entfernen. Schweizer Anbieter könnten faktisch keine sichere Kommunikation mehr anbieten. Völlig ungelöst bleibt auch das Problem, dass Beweise für strafbare Handlungen, die der Geheimdienst den Strafbehörden weitergibt, strafrechtlich wohl gar nicht verwertbar sind. Und auch die Anregungen der Geschäftsprüfungsdelegation für bessere Kontrolle wurden nicht umgesetzt.

Gerhard Pfister: Ich glaube zwar nicht, dass wir orwellschen Zuständen entgegengehen. Aber ich stimme Ihnen zu: Es braucht eine sehr sorgfältige Abwägung zwischen Sicherheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, und zwar in allen Bereichen.

Quelle: NZZ am Sonntag, 22.3.2014