Balthasar Glättli hält trotz schlechten Prognosen stoisch an den grünen Positionen fest. Gerhard Pfister pflichtet ihm da völlig bei – taktisch, nicht inhaltlich.
Balthasar Glättli: Geschätzter Kollege, momentan überschlagen sich ja die Politologen mit Prognosen für die Wahlen im Herbst. Für die Grünen hat das elektorale Aprilwetter bereits mit einem Regenguss Ende März begonnen. Allerdings bin ich deswegen nun keineswegs bereit, meiner Partei wilde Schwenker nach rechts oder links zu empfehlen… Bin ich betriebsblind?
Gerhard Pfister: Umfragen sind eher Momentaufnahmen, kaum Prognosen. Schon deshalb ist es kritisch, Monate vor den Wahlen Kurskorrekturen zu machen. Der Wahlkampfleiter der BDP, Lorenz Hess, zeigt anschaulich, wie man es falscher nicht machen kann: Zuerst für die Billag-Vorlage, jetzt dagegen, und er selbst sitzt in einem Büro, das die Pro-Kampagne führt. Oder sein Kollege Hans Grunder, der statt auf Inhalte lieber auf seine Bienenkönigin setzen möchte, obwohl diese das nicht will. Oder, um durchaus auch selbstkritisch zu sein: die CVP, wo einzelne Exponenten nun Zweifel an der eigenen Energiestrategie äussern, weil die Randregionen betroffen sind. Das sind Panikreaktionen, die einen Negativtrend nur verstärken, aber nicht beenden. Man muss nicht allen Wählern gefallen, aber man muss eine für alle Wähler erkennbare Position haben. Die Wahlen im Kanton Zürich vom kommenden Wochenende scheinen mir für die Grünen wichtiger zu sein als Umfragen. Was trauen Sie Ihrer Partei dort zu?
Balthasar Glättli: In Zürich haben es die Grünen in den letzten Jahren geschafft, sich einerseits klar als links-grüne Kraft zu positionieren. So kämpften sie in der Stadt für bezahlbares und gleichzeitig ökologisches Wohnen. Umgekehrt haben sie mit der Kulturland-Initiative für alle überraschend eine Abstimmung gewonnen, die offensichtlich auch konservativ-ländlichere Herzen höherschlagen liess. Der ganze Wahlkampf aller Parteien allerdings hat wenig Wellen geworfen. Und bei der doch spannenden Auseinandersetzung um den Regierungsrat gab es eigentlich auch nur drei Momente höherer Aufmerksamkeit: zweimal wegen der Unterstützung von Martin Graf und Mario Fehr durch namhafte Freisinnige – worauf die SVP die FDP jeweils freundlich als Puddingpartei betitelte. Und dann durch eine nicht wirklich anonyme Kampagne von Ludwig A. Minelli gegen die Kandidatin der CVP, was dieser überhaupt erst ein wenig Bekanntheit verschaffte. Kurz: Ich traue meiner Partei zu, das Resultat von 2011 zu halten – aber dazu brauchen wir einen gute Schlussmobilisierung. Bis jetzt ist die Stimmbeteiligung gering, was schlecht für die Grünen ist.
Gerhard Pfister: Für die CVP sind die jüngsten kantonalen Wahlen nicht so schlecht verlaufen. In Zug und Baselland den Wähleranteil gesteigert, in Luzern das hohe Niveau gut verteidigt, mit ganz leichten Verlusten. Zürich ist für die CVP ein schwieriges Pflaster geworden. Die Kampagne gegen Regierungsratskandidatin Steiner wird ihr nur nützen. Das Gemeinsame aller Wahlkämpfe in den letzten Monaten: wenig Emotionen, wenig wirkliche Auseinandersetzungen und tiefe Wahlbeteiligungen. Das sind keine guten Vorzeichen für die nationalen Wahlen. Es wird Aufgabe der Parteistrategen sein, ihre Positionen zu schärfen, Debatten zu provozieren, Profil zu zeigen. Die entscheidende Frage: Was wird das «Fukushima» der Wahlen 2015, und wer hat die besten Antworten darauf? So wie es jetzt aussieht, werden wirtschaftliche Fragen, der starke Franken und dessen Konsequenzen, ein Dauerthema sein. Das ist nicht die Kernkompetenz der Grünen. Oder täusche ich mich?
Balthasar Glättli: Die Energiewende ist nicht einfach nur eine Umweltfrage – sie garantiert auch nachhaltige neue Jobs in der Schweiz. Nach dem Motto: Innovation und Wertschöpfung hier statt Ölgelder nach Saudiarabien, Russland und Libyen. Die unsoziale Deregulierungs-Allianz von CVP, FDP und SVP stellt genau dies infrage. Zudem drückten sich die drei bürgerlichen Parteipräsidenten um die allerwichtigste Frage des Wahljahres.
Gerhard Pfister: Welche politische Frage soll das denn Ihrer Meinung nach sein?
Balthasar Glättli: Jene nach der europäischen Integration. Hier lehnten sich die Grünen als einzige Partei schon vor über einem Jahr aus dem Fenster. Nur eine nicht diskriminierende Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative lässt die bilaterale Option offen. Paradoxerweise wird wohl gerade die SVP mit ihrer Bilateralen-Crashkurs-Strategie die Schweiz am ehesten in die Europäische Union treiben. Dass CVP-Präsident Christophe Darbellay hier auf ganzer Linie nachgegeben hat, trotz den grossen Ankündigungen, einen Deal mit der SVP gebe es nur nach einem Bekenntnis zu den Bilateralen, stärkte nicht wirklich das Bild einer standfesten Mittepartei. Wichtiger Teil des Wahljahres wird – last, but not least – auch die Debatte um Grund- und Menschenrechte sein. Hier reden die Grünen Klartext. Gegen Schnüffelstaat. Und für starke Bürgerrechte im Sinn der Bundesverfassung von 1999. Dann ist der «Gang nach Strassburg» keine Bedrohung, sondern im liberalen Sinn eine Stärkung des Einzelnen gegen Staatswillkür.
Gerhard Pfister: Der Volksentscheid zur Einwanderung lässt sich diskriminierungsfrei umsetzen. Darbellay machte das einzig Richtige. Er positioniert die CVP in wirtschaftlichen Fragen da, wo sie hingehört: im Einsatz für eine liberale Wirtschaftsordnung, eine souveräne Schweiz, für unternehmerische Freiheit und Selbstverantwortung. Die Wählerschaft hat es bereits honoriert und wird es auch in den Wahlen im Herbst tun.
Quelle: NZZ am Sonntag, 5.4.2015