Die Reform «Altersvorsorge 2020» stösst auf Wohlwollen. Langfristig setzt aber Gerhard Pfister auf mehr Querdenken, Balthasar Glättli auf mehr Solidarität.
Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, vier Altmeister im Ständerat haben für ihre letzte Session eine AHV-Vorlage gezimmert: 0,3 Prozent Mehrwertsteuer aus der IV sollen ab 2018 in die AHV fliessen, Rentenalter 65 für Frauen, eine Schuldenbremse für die AHV sowie die Entpolitisierung von Umwandlungssatz und Mindestzins in der zweiten Säule. Der lösungsorientierte Ständerat wird zustimmen, nehme ich an. Aber wie sieht es im Nationalrat aus, vor allem bei den Polen Links und Rechts? Was sagt der Fraktionschef der linksten Fraktion, also Sie, dazu?
Balthasar Glättli: Dem Entscheid der Fraktion kann ich nicht vorgreifen. Persönlich finde ich es falsch, das Rentenalter von Mann und Frau anzugleichen, solange die Gleichstellung gerade im Lohnbereich nicht erreicht ist. Immerhin: Die Stärkung der AHV ist ein guter Schritt. Ungelöst bleiben die grossen Zukunftsfragen: Wie finanziert man den Pillenknick aus? Und wie gehen wir damit um, dass in Zukunft wegen der Produktivitätssteigerung und der Informatisierung das Volumen bezahlter Arbeit eher sinken als steigen wird? Am Schluss stellt sich ja einfach die Frage: Schafft es die Schweiz, aus dem gesellschaftlich erarbeiteten Mehrwert allen ein würdiges Leben im Alter zu ermöglichen? Was wäre Ihre Antwort?
Gerhard Pfister: Einerseits muss die Politik ihre Verantwortung wahrnehmen, indem sie die unmittelbar anstehenden Fragen löst. Das tut diese Vorlage, und ein Referendum dagegen zwecks Parteiprofilierung wäre verantwortungslos. Gleiches Rentenalter für Mann und Frau ist eine Selbstverständlichkeit, was übrigens auch eine Mehrheit der Frauen so sieht. SP-Präsident Christian Levrat und seine Genossen kämpfen diesbezüglich aus einem Bunker heraus, der nur noch von ihnen selbst bewohnt wird. Ich hoffe, die Grünen emanzipieren sich von der SP. Aber die grosse Zukunftsfrage ist damit nicht beantwortet. Hier müsste die Politik den Mut haben zu einer echten Reformdebatte. Ein Beispiel: Würde man die Anlagepolitik von Sozialversicherungen und Pensionskassen neu ausrichten, könnten jährlich Zusatzperformances in Milliardenhöhe resultieren – zum Wohle aller. Milliarden, ohne die unsere Sozialwerke nicht überleben werden. Die Modelle gibt es, die Erfahrung auch, es fehlen der Mut und die Bereitschaft zum Quer- und Neudenken. Stattdessen pflegt man parlamentarisches Mikromanagement von Wahltermin zu Wahltermin.
Balthasar Glättli: Gegen eine Justierung der Anlagepolitik spricht nichts. Ob allerdings gleich Milliarden herausschauen würden, wage ich doch zu bestreiten! Vor allem wenn man die Sicherheit der Anlagen beachtet. Wir Grünen haben beispielsweise vorgeschlagen, dass auch Investitionen in die Energiewende möglich sein müssten. Und die Idee eines Innovationsfonds für Startup-Unternehmen finde ich ebenfalls grundlegend spannend. Allerdings erwarte ich bei beidem nicht vorab höhere finanzielle, sondern gesellschaftliche Returns – ohne dass die Sicherheit der Renten gefährdet ist. Angesichts der Überakkumulation des Kapitals, das immer verzweifelter nach Renditen sucht, die in der realen Wirtschaft gar nicht erarbeitet werden können, liegt die Hoffnung für die Altersversorgung – ja Sie merken es, Sie debattieren mit einem linken Grünen – nicht in neuen Spekulationsgewinnen, sondern in einer massiven Stärkung der ersten Säule.
Gerhard Pfister: Ich rede da keineswegs von Spekulation oder davon, unsere Renten zu riskieren. Sondern davon, dass wir in der Schweiz das enorme Wissen und die Fähigkeiten, die unser Finanzplatz und dessen Akteure bieten, in der Politik viel zu wenig nutzen. Schauen Sie sich die Lösungen Kanadas, Norwegens oder auch Singapurs an. Sie werden sehen, dass diese Regierungen sehr viel weiter sind in der langfristigen Sicherung der Sozialwerke oder auch der nationalen Interessen. Die Schweiz könnte hier problemlos mitziehen, was die meisten andern europäischen Länder nicht können. Die erste Säule stärken kann man nur so. Anders bürdet man nur den Jungen Lasten auf, die für sie nicht zumutbar sind.
Balthasar Glättli: Das vorhandene Wissen zu nutzen – da spricht nichts dagegen. Skeptisch werde ich, wenn die gleiche Finanzwirtschaft, welche es nicht schaffte, die immensen Verwerfungen der letzten Finanzkrisen vorauszusehen, sondern sie vielmehr selbst verursachte, nun plötzlich zum weitsichtigen Retter der kommenden Generationen ausgerufen wird. Hier sind Zauberlehrlinge am Werk, denen ich ein gesundes Misstrauen entgegenbringe. Genau darum will ich auch die erste Säule stärken – weil wir so Geld umlagern, statt immer noch mehr Kapital auf die Suche nach Rendite zu schicken.
Gerhard Pfister: Natürlich gibt es da noch viel Diskussionsbedarf. Aber nicht mehr vor den eidgenössischen Wahlen im Herbst, da muss jetzt zuerst der Ständerat ran. Aber es wäre doch ein guter Vorsatz für die kommende Legislatur, sich dieser entscheidenden Zukunftsfrage überparteilich zu stellen, ganz ohne Scheuklappen.
Balthasar Glättli: Wohlan denn! Der grossen Harmonie traue ich allerdings noch nicht so ganz. Genau dann, wenn es um die Frage geht, ob eine Neugestaltung der Sozialwerke mit mehr oder weniger Solidarität erfolgen soll – und darum geht es bei der Auseinandersetzung um erste oder zweite Säule –, dann werden die Gräben zwischen links und rechts wieder riesengross. Darum ist der Herbst auch für die Zukunft einer sozialen Altersvorsorge eine Richtungswahl.