Die Ausgangslage ist klar: Gerhard Pfister wird einen SVP-Bundesrat wählen, Balthasar Glättli nicht. Zu diskutieren haben die beiden trotzdem genug.
Balthasar Glättli: Haben Sie nach dem Rücktritt von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf gefeiert? Immerhin sagten Sie offen schon lange, dass Ihre Stimme einem SVP-Kandidaten zukomme – nun ist sogar Ihr Noch-Parteipräsident in einer letzten Volte auf diese Position eingeschwenkt.
Gerhard Pfister: Darbellay hat keine Volte gemacht, sie wurde ihm medial angedichtet. Ich habe den Sitzanspruch der SVP als stärkster Partei stets unterstützt, das stimmt. Das Projekt BDP-CVP hätte die Legitimation für die zwei Mitte-Sitze geschaffen. Ich habe auch das befürwortet. Aber die BDP sagte ab. Jetzt beginnt die unterhaltsamste Zeit, die Schweizer Politik zu bieten hat. Die Medien entwickeln Szenarien, die Kandidierenden unterdrücken mühsam ihren Ehrgeiz und betonen die Last des Amtes, die sie nur, wenn es unbedingt sein müsste, zu tragen bereit wären. Die Parteien fordern von andern Parteien das Einhalten des eigenen Programms, kurz: bester Konversationsstoff. Was wollen wir mehr?
Balthasar Glättli: Das ehrt Sie, wie Sie für Darbellay eintreten – allerdings habe ich ihn selbst im Radio noch vor Wochen gehört, wie er beschwor, man sollte keine bewährte Bundesrätin abwählen. Sei’s drum: Tatsächlich kommt nun die spannende Zeit. Allerdings sind wir Grünen hier etwas langweilig, weil klar: Wir finden, eine Partei, welche Mehrheitsentscheide über die Menschenrechte stellt, gehört nicht in den Bundesrat. Klar gibt es noch andere Wünsche – aber die sind aus meiner Sicht zwar zentral für die Schweiz, aber zweitrangig. Denn natürlich vertritt ein Bundesrat im Grundsatz die Politik seiner Partei. Dennoch die Frage an Sie: Braucht es denn für Sie nicht zumindest ein Bekenntnis eines Kandidaten zu Grund- und Menschenrechten, bevor er für Sie wählbar ist? Oder ist für Sie, geschätzter Kollege, jeder SVPler gut genug für die Schweiz?
Gerhard Pfister: Sie werden keinen SVPler finden, der sagt, er respektiere die Menschenrechte nicht. Die Frage ist, ob Sie ihm glauben wollen. Ein Bundesrat leistet den Eid auf unsere Verfassung, nicht auf das Programm seiner Partei. Ich warte jetzt einmal ab, wen die SVP als Kandidierende vorschlägt. Die aktuellen Bundesräte waren «gut genug für die Schweiz», entschied die Bundesversammlung. Dieser Massstab ist nicht unüberwindlich hoch. Bundesräte müssen einerseits führungsstark in ihren Departementen, andererseits kollegialitätsfähig im Bundesrat sein. Das ist nicht jeder Person gegeben. Bundesratswahlen sind keine Assessments wie in der Wirtschaft, zum Glück.
Balthasar Glättli: Sie missverstehen mich wohl mit Bedacht? Respekt der Menschenrechte würde eine klare Ablehnung der SVP-Initiative gegen fremde Richter bedeuten. Da braucht es ein Ja oder Nein, und genügend Rückgrat des Kandidaten, damit man ihm das auch glaubt. In unserem Land ohne Verfassungsgerichtsbarkeit haben die Bürgerinnen und Bürger ja keine andere Möglichkeit, ihre Grundrechte einzuklagen, wenn diese durch Gesetze oder deren Interpretation verletzt sein sollten. Dass Sie die Bundesratskür der SVP abwarten, kann ich verstehen. Dennoch sei die Frage erlaubt: Wird Gerhard Pfister jeden wählen, von Amstutz bis Rösti, von Brunner bis Freysinger? Haben Sie keine Favoriten?
Gerhard Pfister: Keine Favoriten, ganz ehrlich. Ich schaue mir die Leute an, die als Päpste ins Konklave gehen wollen, und habe so meine Annahmen, wer von ihnen als Kardinal rauskommen wird. Wählen werde ich nicht jeden. Unsere Institutionen sind genug stark, dass sie jeden genügend einbinden, seine Macht begrenzen oder ihn nötigenfalls wirkungslos machen können. Die Doppelvertretung der stärksten Partei im Bundesrat ist mir viel wichtiger als die Frage nach den Personen. Letztere hat eher Unterhaltungswert, ist aber für die Schweiz und die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, weniger wichtig. Deshalb wünsche ich mir den 9. Dezember möglichst schnell herbei, damit die Themen wieder wichtiger werden als die Köpfe.
Balthasar Glättli: Tatsächlich haben Bundesräte in unserem System eine andere Funktion als Regierungsmitglieder einer klassischen Einparteien- oder Koalitionsregierung. Allerdings scheint es mir – gerade weil es am Schluss um zentrale Inhalte geht – doch entscheidend zu sein, wer im Bundesrat sitzt. Und in welchem Departement. Warum Sie aber wie ein Philipp Müller der SVP den Job abnehmen und dafür werben, dass ein zweiter Bundesratssitz die wilde Opposition einbinden werde, wundert mich. Das glaubt erstens niemand. Aus Erfahrung. Und weil in der Schweiz jede Bundesratspartei auch in der Opposition ist. Und zweitens hätten Sie und die CVP ja – anders als Müller – keinen Gegenangriff auf einen eigenen Bundesrat zu befürchten.
Gerhard Pfister: In unserem System gibt es die Dualität von Opposition und Regierung nicht, weil es keine Einparteien- oder Koalitionsregierungen gibt. Sondern wechselnde Allianzen zu Sachthemen, manchmal mit der Regierung, manchmal gegen sie. «Einbinden» ist deshalb nicht möglich und nicht nötig. Jede Partei stimmt manchmal mit dem Bundesrat überein, manchmal nicht. Die SVP zum Sonderfall zu machen, medial und politisch, war ein Fehler, der dazu führte, dass ihre Wähleranteile durch die Decke gingen. Erst wenn die andern bürgerlichen Parteien das begreifen, werden sie das Wachstum der SVP stoppen können. Die Linke hat daran kein Interesse, weil sie davon profitierte. Und weil die SP die gleiche Doppelrolle immer glänzend spielte, deren Aufgabe sie jetzt von der SVP verlangt. Deshalb ist es wichtig, dass die SVP zwei Sitze erhält, aber weniger wichtig, welcher SVPler darauf Platz nimmt.