Schweizer Qualität als VorbildLesedauer ca. 4 Minuten

Die Konzernverantwortungsinitiative hilft den Armen, sagt Balthasar Glättli. Nein, erwidert Gerhard Pfister: Sie hilft, Schweizer Firmen vom Markt zu klagen.

Balthasar Glättli: Geschätzter Kollege, letzten Montag wurde die Konzernverantwortungsinitiative eingereicht. Sie fordert Schweizer Qualität bei hier ansässigen Konzernen: Der Schutz von Menschenrechten und Umwelt soll verbindlich in alle Geschäftsabläufe eingebaut werden. Da kann man ja kaum dagegen sein, oder?

Gerhard Pfister: Doch! Gerade weil diese Initiative so schön daherkommt, ist sie brandgefährlich. Sie ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Sie setzt alle Schweizer Unternehmen, die international tätig sind, vom kleinsten KMU bis zum Rohstoffgiganten, rechtlichen Risiken aus, die kein einziger von ihren Konkurrenten haben wird. Ausländer könnten fortan gegen Schweizer Firmen vor Schweizer Gerichten klagen. Damit würde der Standort Schweiz massiv geschwächt.

Balthasar Glättli: Die Grundlage der Initiative sind die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die der Uno-Menschenrechtsrat 2010 einstimmig verabschiedet hat. Sie kritisieren die Initiative, sie sei schlecht gemacht. Ich habe eher das Gefühl, Sie wollen schlicht und einfach keine verbindlichen Leitlinien für Konzerne. Mein Verdacht aufgrund Ihrer Argumentation: Für Sie wäre nur nichts gemacht gut gemacht. Oder irre ich mich?

Gerhard Pfister: Ja, das sehe ich anders. Die Schweiz ist eben auch deshalb ein attraktiver Standort, weil hier der Staat den Unternehmen zwar Freiheit gibt, sie gleichzeitig aber auch zur Selbstverantwortung anhält. Corporate Social Responsibility heisst das, und es ist für erfolgreiche Schweizer Unternehmen schon heute unabdingbar, wollen sie wettbewerbsfähig bleiben. Dazu gehören das Einhalten lokaler Gesetze, weltweiter, konzerninterner oder industrieweiter Standards, das Wahrnehmen sozialer, ökologischer und ökonomischer Verantwortung im Kerngeschäft sowie das gesellschaftliche Engagement, das über das Kerngeschäft hinausgeht, die sogenannte Corporate Citizenship.

Balthasar Glättli: Freiwillige Selbstverpflichtung ist gut, aber sie reicht nicht aus. Weiterhin scheren sich Konzerne mit Schweizer Sitz um Menschenrechte und Umweltschutz und beschmutzen damit auch den Ruf der Schweiz. Beispiele? Die «Dirty Diesel»-Recherchen von Public Eye zeigten, dass Schweizer Rohstoffhändler Diesel mit dem 378-Fachen des europäischen Grenzwerts für Schwefel nicht nur handeln, sondern extra produzieren. Und in Kongo verschmutzt eine Mine von Glencore die Flüsse so stark, dass die Fische sterben und das Weideland unbrauchbar ist, weil die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation weit überschritten sind. Ein paar freiwillige Schwalben machen keinen Sommer!

Gerhard Pfister: Gerade an Glencore zeigt sich die Absurdität der Initiative. In Sambia modernisierte Glencore eine Anlage, um die Luftqualität gängigen Normen anzupassen. Die Stilllegung der Anlage hatte die Regierung zuvor explizit verweigert, damit die Arbeitsplätze erhalten werden konnten. Mit der Initiative wäre das ganz anders: Man müsste Anlagen, die den Standards nicht entsprechen, sofort schliessen, ohne Rücksicht auf die Arbeitsplätze und ohne Rücksicht auf mögliche Verbesserungen! Das ist kontraproduktiv für die Bevölkerung in diesen Ländern. Man schafft Nachteile für Schweizer Firmen. Sie werden sich aus den kritischen Ländern zurückziehen. Konkurrenten würden die Märkte übernehmen. Die USA etwa würden Schweizer Unternehmen mit Klagen eindecken, um sie vom Markt zu verdrängen, und nicht, um bessere Standards durchzusetzen – so wie sie es beim Finanzplatz machten. Die Schweiz würde sich selbst schwächen – und erst recht die Schwachen in den armen Ländern, wo Schweizer heute in der Regel bessere Standards durchsetzen als ortsüblich.

Balthasar Glättli: Vorab die Präzisierung: Im erwähnten Fall aus Kongo verletzt Glencore bei der Verschmutzung des Pingiri-Flusses auch das lokale Gesetz. Doch nun zu Ihrem Hauptargument. Ihre alte Leier macht es nicht besser. So wurde anno dazumal auch gegen das Verbot der Kinderarbeit argumentiert! Gerade die Schweiz, zu Recht stolz auf das internationale Genf, sollte unterzeichnete Abkommen auch tatsächlich umsetzen. Schweizer Qualität muss für Vorbildlichkeit stehen. Ihre Aussagen verwirren mich zudem: Ist die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards nun ein Wettbewerbserfordernis, wie Sie eingangs beim Lobpreis auf die Corporate Social Responsibility sagten? Oder doch ein Konkurrenznachteil, wie Sie jetzt schreiben? Meine Befürchtung ist: Sie haben in beidem recht. Konzerne, die Produkte für den Endkonsumenten herstellen, sind anfälliger auf öffentliche Kampagnen, sprich: Menschenrechte verachtende Praktiken schaden im Absatzmarkt in den Industrieländern. Die Rohstoffhändler dagegen, die Sie aus falsch verstandenem Zuger Lokalpatriotismus verteidigen, agieren lieber im Düstern und können es sich leisten, ihre Milliarden auch auf Kosten von Umwelt und Menschenrechten zu machen. Dem schiebt die Initiative den nötigen Riegel vor.

Gerhard Pfister: Mein Argument ist, dass Konkurrenten bei einem Ja zu dieser Initiative unter dem Vorwand der Menschenrechte unliebsame Schweizer Unternehmen aus dem Markt drängen könnten. Die USA haben beim Finanzplatz doch vorgemacht, wie das geht: Gegen ausländische Banken fährt man Attacken im Namen des Rechtsstaats, während man im eigenen Land genau diese Praktiken – unter anderem im Gliedstaat Delaware – toleriert und sogar um Schwarzgeld wirbt. Die Initiative ist nicht dafür geeignet, die Lage der Menschen in Entwicklungsländern zu verbessern. Im Gegenteil.

© NZZ am Sonntag; «Die USA haben beim Finanzplatz doch vorgemacht, wie das geht»; 16.10.2016; Ausgaben-Nr. 42; Seite 20