Angesichts des dritten Jahrestags zur Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) gilt es klarzustellen: Das Umsetzungsgesetz des Parlaments ist weder ein Skandal, noch ein Verfassungsbruch. Und mit der Entscheidung, kein Referendum zu ergreifen, hat die SVP das – trotz Absingens wüster Gesänge – faktisch anerkannt.
Es gibt aus meiner Sicht drei wichtige Argumente, warum das Parlament mit der Umsetzungsgesetzgebung durchaus seine Arbeit gemacht hat. Und zwar nicht einfach nach Belieben. Sondern angesichts der Ausgangslage absolut korrekt.
Erstens: Die Verfassung umfasst nicht nur den Artikel 121a. Die Verfassung, auf die alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier einen Eid oder ein Gelübde abgelegt haben, umfasst die ganze Verfassung. Sie umfasst damit auch die grundlegenden Verpflichtungen, welche am Anfang der Verfassung festgelegt sind. Dazu gehört es, rechtmässig eingegangene Verträge mit anderen Staaten einzuhalten. Man kann diese künden. Aber es wäre absolut unstatthaft und verfassungswidrig gewesen, einfach ein Gesetz im Sinne der SVP zu beschliessen, im Wissen, dass dieses noch gültige Verträge verletzt.
Zweitens: Die Initiative wollte nicht die Kündigung der Bilateralen. Das Initiativkomitee selbst hat den Stimmberechtigten versichert, dass die MEI nicht die Kündigung der bilateralen Verträge bezwecke, und zwar in den offizellen Erläuterungen im Bundesbüchlein (hier als PDF).
Genau diesen Auftrag hat der Bundesrat erfüllt und Nachverhandlungen angestrebt. Dass sich die EU darauf nicht einliess, ist nicht seine Schuld.
Drittens: Hätte die Initiative die Kündigung der Bilateralen gefordert, wäre sie ungültig gewesen. Damit Volksinitiativen gültig sind, müssen sie die sogenannte Einheit der Materie erfüllen. Das heisst, eine Initiative darf nicht zwei unterschiedliche inhaltliche Fragen stellen. Das Parlament darf nur Volksinitiativen zur Abstimmung bringen, die das Kriterium der Einheit der Materie erfüllen. Wenn es davon ausgegangen wäre, dass es sich nicht nur um eine Abstimmung über die Einschränkung der Migration über Kontingente handelte, sondern auch um eine Abstimmung über die Kündigung aller bilateralen Abkommen mit ganz vielen anderen Themen, dann hätten das Parlament die Einheit der Materie gar nicht als gewährleistet bezeichnen dürfen. In der langjährigen Tradition des Parlamentes wurde zugunsten der Initianten entscheiden und die Abstimmung zugelassen – im Wissen darum, dass es nicht eine Abstimmung darüber war, ob die Schweiz die Bilateralen kündigen sollen.
Übrigens: Die ersten beiden Punkte habe ich auch anlässlich der Schlussabstimmung im Dezember 2016 erwähnt, und den dritten in meinem Eintretensvotum im September 2016. Hier die Videos dazu:
(Bild: 1. März 2014, Bundesplatz in Bern, Kundgebung für eine offene und solidarische Schweiz. Foto: Riccardo Turla)