Für Balthasar Glättli ist klar, dass sich nach dem Nein zur USR III die Bürgerlichen bewegen müssen. Gerhard Pfister stimmt zu, warnt aber vor Maximalforderungen.
Gerhard Pfister: Geschätzter Kollege, vor zwei Wochen stritten wir noch über die Unternehmenssteuerreform (USR III). Jetzt hat das Volk entschieden und Ihnen recht gegeben. Das Nein zeichnete sich ab, die Deutlichkeit überrascht mich. Es sind nicht über Nacht so viele Schweizerinnen und Schweizer Linke geworden. Viele bürgerlich Wählende lehnten ab. Was sind für Sie die Gründe für diesen Entscheid? Wie sehen Sie das weitere Vorgehen?
Balthasar Glättli: Zuerst zu den Gründen. Viel wurde geschrieben und gesagt, aber wenig nachgedacht. Das Vertrauen zu Bundesrat und Parlament sei weg? Immerhin wurden die beiden anderen Vorlagen noch klarer angenommen als die USR III abgelehnt – auch die erleichterte Einbürgerung der dritten Generation. Umso lächerlicher der Versuch der SVP, auch noch ihre Niederlage bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative als Grund zu nennen. Wenn denn Unglaubwürdigkeit wirklich ein Grund war, dann jene von Economiesuisse und Gewerbeverband. Wenn schon Misstrauen gegen den Bundesrat, dann Misstrauen gegen den Finanzminister.
Gerhard Pfister: Auch gegen ihn nicht. Auch gegen die Verbände nicht. Das ist zu einfach. Wo ich Ihnen zustimme: Es ging nicht um Misstrauen gegen die Behörden. Höchstens bei denen, die diesen ohnehin nie trauen. Die Vorlage hatte offensichtlich zu viele Schwächen und war nicht ausgewogen. Zusätzliche Schwierigkeit: Die Kantone konnten nicht sagen, was das konkret in Zahlen für die Steuerzahlenden bedeuten würde. Das müssen wir nächstes Mal besser machen. Es gelang uns nie, aus der Defensive herauszukommen. Es fehlte an einer positiven Botschaft. In der Schweiz gewinnt oder verliert man Abstimmungen in der Mitte. Die CVP hätte stärker darauf insistieren müssen, dass die Steuerreform ausgewogen gestaltet wird. Wir werden das bei der nächsten Runde tun.
Balthasar Glättli: Dass die Befürworter nicht aus der Defensive kamen, war natürlich auch ein klarer Kampagnenerfolg von uns Gegnern. Wir definierten früh eine klare Aussage: Milliarden-Bschiss am Mittelstand. Unklare Umsetzung in den Kantonen, begründete Ängste der Städte, bürgerliche Gemeindepräsidenten, welche Steuererhöhungen vermeiden wollten – all das spielte dann in diese Grundrichtung. Das Resultat heisst nicht, dass es nun plötzlich eine linke Mehrheit gibt. Aber es heisst, dass die Rechtsrutschmehrheit nicht ungeniert durchmarschieren kann. Umso unverständlicher ist es, dass FDP, SVP und mit ihnen auch die Grünliberalen dennoch Durchhalteparolen bei der Altersvorsorge durchgeben – statt auf den Kompromiss des Ständerats einzuschwenken.
Gerhard Pfister: Tatsächlich erwecken FDP, SVP und GLP den Eindruck, aus der Niederlage bei der Steuerreform nichts zu lernen. Ihre Vorstellungen bei der Altersvorsorge 2020 im Nationalrat führen ins nächste Desaster. So ist die dringend nötige Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule beim Volk nicht zu haben. Ich staune, wie wenig vor allem FDP und GLP auf realpolitische Argumente eingehen. Die FDP gibt sich ja gern konsensorientiert und staatstragend, die Grünliberalen behaupten von sich, eine Mittepartei der Vernünftigen zu sein. Beide sind derzeit ausgesprochen ideologisch unterwegs. Die SVP hat hier das gleiche Problem wie bei der Steuerreform: Ihre Basis ist sozialer als die Fraktion. Die Kompensation mit einer um 70 Franken höheren Rente bei der AHV macht die Vorlage mehrheitsfähig. Wir werden sehen, ob die drei Parteien im Nationalrat bis zum bitteren Ende der Schlussabstimmung gehen und die Reform versenken.
Balthasar Glättli: Ich gehe mit Ihnen einig: Die Altersvorsorge 2020 wird zeigen, ob FDP und GLP lernfähig sind. Den Kompromiss als Tugend zu begreifen, ist aber auch beim raschen Aufgleisen einer neuen Unternehmenssteuerreform erforderlich. Vermutlich wäre es nicht das Dümmste, den damaligen Vernehmlassungsvorschlag des Bundesrates als Ausgangspunkt zu nehmen. Es braucht eine faire und tragbare Gegenfinanzierung, ein Bandbreitenmodell für die Begrenzung des interkantonalen Steuerwettbewerbs und einen echten Einbezug auch von Städten und Gemeinden. Dass dem Städteverband von der Wirtschaftskommission gerade einmal eine Anhörung von drei, vier Minütchen zugestanden wurde – dieser Fauxpas darf sich nicht wiederholen. Zudem muss das Ziel sein, die Schweiz langfristig zu einer verlässlichen Partnerin gegen das globale Steuerdumping zu machen.
Gerhard Pfister: Jetzt hätte ich Ihnen fast zugestimmt, wenn Sie den letzten Satz weggelassen hätten. Hier unterscheiden wir uns fundamental: Für mich führt ein gesunder Wettbewerb zu grösserem Wohlstand für alle, und für mich ist das kein Steuerdumping. Aber es kommt auf das Mass an. Bei einer Neuauflage wird wohl alles noch einmal auf den Tisch kommen müssen, was es an Ideen bei der ersten Beratung gab. Gründlichkeit ist wichtiger als Schnelligkeit. Es liegt sicher primär an den bürgerlichen Parteien, Kompromisse einzugehen, damit das Volk zustimmen kann. Aber auch die Linken sollten jetzt nicht allzu viel Triumphalismus entwickeln und nicht auf Maximalforderungen bestehen. Sonst werden sie die gleiche Quittung vom Volk erhalten wie wir letzten Sonntag.
Balthasar Glättli: Dieses Risiko bleibt gering, weil Grüne und Linke keine Mehrheit im Parlament haben. Deshalb bleibt die Kompromissfähigkeit der Parlamentsmehrheit, die hier ganz deutlich verloren hat, zentral. Denn bei allen Debatten über die Kampagnen ist klar: Die USR III ist nicht an der Kampagne gescheitert, sondern am Inhalt.
© NZZ am Sonntag; «Die Linken sollten jetzt nicht allzu viel Triumphalismus entwickeln»; 19.02.2017; Ausgabe-Nr. 58