Sparen? Oder ausgeben? Balthasar Glättli möchte der reumütigen SVP vergeben. Aber Gerhard Pfister erinnert ihn an den Katechismus staatlichen Handelns. Die E-Mail-Debatte.
Balthasar Glättli
Geschätzter Kollege, in der Budgetdebatte hat die Finanzkommission des Nationalrats eine Rekordzahl von über 80 Anträgen eingereicht…, und zwischen Stände- und Nationalrat zeichnet sich ein Showdown ab. Was ist Ihre Prognose: Setzt sich der Ständerat in der Linie gegen massive Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit durch – und wären Sie happy darüber?
Gerhard Pfister
Geschätzter Kollege, Budgetdebatten verkommen im Nationalrat zum vorweihnächtlichen Profilierungsritual. Die Fraktionen pflegen ihre Gärtlein und wollen dort sparen, wo ihre Wählerschaft nicht tangiert ist. Es fehlt eine Gesamtschau.
So halte ich die Riesenzahl von 80 Minderheitsanträgen für reine Zwängerei. Selbst die Antragstellenden wissen, dass sie keine Mehrheit erhalten. Die Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit sind auch für die CVP übertrieben. Erwünscht wäre eine bessere Fokussierung.
Balthasar Glättli
Die Gesamtschau fehlt, da stimme ich zu. Dazu gehört auch, dass die Finanzsituation des Bundes systematisch schlechter geredet wird, als sie es ist. Dass ein Finanzminister dies tun muss, ist ja klar. Er muss ein geiziger Kassenwart sein. Aber ein Parlament sollte auch anerkennen, dass es finanzielle Spielräume gibt, die klug und zukunftsorientiert genutzt werden können.
Für mich interessant ist die Feststellung, dass ich als Grüner – wir wollten den Ständerat ja lange stark reformieren oder gar abschaffen – nun sehr froh bin um das Powerplay des Ständerats, der viel ruhiger Finanzpolitik macht.
Gerhard Pfister
Der Ständerat ist weniger ideologisch, das stimmt. Und deshalb ein wichtiges Korrektiv, nicht nur in Haushaltsfragen. Das ist auch der Tatsache zu verdanken, dass im Ständerat die CVP die stärkste Gruppe bildet. Andererseits warne ich davor, dass wir, nur weil unser Budget besser aussieht als das der meisten europäischen Länder, leichtsinnig werden.
Was mich besonders stört: Manche reden schon von «Sparen» oder «Abbau», wenn das Ausgabenwachstums weniger steil ist! Wir sparen dann nicht. Das Wachstum ist nur schwächer als im Vorjahr. Meistens geben wir aber substanziell mehr aus. In Firmen heisst Sparen etwas anders.
Balthasar Glättli
Ein Korrektiv wäre der Ständerat auch, wenn er 13 Grüne hätte! Relevant ist nicht die CVP als Partei, sondern dass die Mehrheiten anders sind als im Nationalrat. Was ich kritisiere: Unsere Rechnungen schnitten in den letzten zehn Jahren total 25 Milliarden besser ab als budgetiert. Jahr für Jahr werden die Einnahmen zu tief, die Ausgaben zu hoch geschätzt.
Das Gleiche gilt beim Konjunktur-Faktor. Dieser Faktor entscheidet im Rahmen der Schuldenbremse, ob antizyklisch die Ausgaben erhöht werden sollen oder nicht. Und da wird systematisch Richtung Sparen geschräubelt. Ein Staatsbudget funktioniert nicht wie das private Haushaltportemonnaie. Staatsausgaben in Konjunkturbaissen sollen auch Wirtschaftsimpulse geben – die Schuldenbremse, von den Rechten wegen ihres Spardrucks gelobt, enthält eigentlich auch eine Portion Keynesianismus!
Gerhard Pfister
Ich müsste eigentlich bei jedem Satz widersprechen, aber das würde zu lange dauern. Deshalb kurz: Es ist eine steile These, die Schuldenbremse zu einem Tool des Keynesianismus umzudeuten! Um die Schuldenbremse beneiden uns viele Länder. Sie ist mitverantwortlich, dass das Nicht-EU-Land Schweiz die Verschuldungsgrenzen der EU mustergültiger erfüllt als deren Mitglieder.
Ich bin aber bereit, darüber nachzudenken, ob die Überschüsse nur für Schuldenabbau verwendet werden sollen. Dafür müsste man das Gesetz anpassen, was FDP und SVP bisher stets abgelehnt haben. Aber diese Woche machte die SVP eine wundersame Bekehrung durch, und will nun mit den Linken Überschüsse in die AHV umleiten. Ohne eine gesetzliche Grundlage, nota bene. Widersprüchlicher geht gar nicht mehr.
Balthasar Glättli
Beim Schluss begonnen: Da sind wir Grünen etwas katholischer. Wenn die SVP sich bekehrt, vergeben wir und empfangen den verlorenen Sohn mit offenen Armen. Natürlich stimmten wir der Stärkung der AHV zu – wenn eine Mehrheit dies im Budget will, kann sie auch die nötigen Gesetzesgrundlagen schaffen.
Zur Schuldenbremse: Ja, Sie haben recht. Die Schuldenbremse ist natürlich eine bürgerliche finanzpolitische Selbstentmachtung. Und doch bleibe ich dabei: Mit dem K-Faktor wurde die keynesianische Idee des antizyklischen Ausgabeverhaltens in die Formel integriert. Darum ist es sogar nach der internen Logik der Schuldenbremse problematisch, wenn dieser Faktor falsch bestimmt wird. So wurde vor einem Jahr der K-Faktor für 2017 auf 1,005 festgelegt. In der aktuellsten Hochrechnung erhöht er sich auf 1,01. Tönt technisch. Aber es heisst: Wir werden 2017 einen strukturellen Überschuss von sage und schreibe 1,5 Milliarden Franken produzieren. Das ist schlicht unklug.
Gerhard Pfister
Verzeihen Sie mir den Katechismus: Ein Parlamentsentscheid ohne gesetzliche Grundlage ist schlicht und einfach ungesetzlich, und nicht katholisch. Wenn das einreisst, dann gute Nacht Rechtssicherheit.
Gerade solche Aktionen sind typisch dafür, dass im Nationalrat die Budgetberatung zur Symbolpolitik der Linken und der SVP verkommt. Man demonstriert die eigene Ideologie und hofft insgeheim, dass der Ständerat alles wieder zurechtrückt. Das hat nichts mehr mit einer konsistenten Finanzpolitik zu tun, wie es im Ständerat FDP und CVP durchsetzen können. Ihre 13 Grünen – wenn sie denn dort sässen – würden vermutlich auch in der kleinen Kammer nationalrätliche Unsitten einführen.
© NZZ am Sonntag; «Da sind wir Grünen etwas katholischer»; 02.12.2017