Was war Blochers Abwahl aus dem Bundesrat? Eine notwendige Retourkutsche, sagt Balthasar Glättli. Ein staatspolitischer Fehler, findet Gerhard Pfister. Die E-Mail-Debatte.
Gerhard Pfister
Geschätzter Kollege, vor zehn Jahren erlebte ich die Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat und die Wahl von Evelyne Widmer-Schlumpf. Ich war schon damals der Auffassung, das sei ein kapitaler Fehler. Die Mehrheit meiner Fraktion sah es anders. Heute fühle ich mich bestätigt. Diese Aktion stärkte die SVP. Die Partei wurde noch stärker in die Oppositionsrolle gedrängt, die sie so sehr liebt. Wie denken Sie darüber?
Balthasar Glättli
Das sehe ich – wenig verwunderlich – völlig anders. Die SVP ist in vielen inhaltlichen Feldern der politische Hauptgegner der Grünen. Wenn sie durch eine kompromisslose Oppositionsrolle im Parlament ihre Chancen verringert, eigene Inhalte mehrheitsfähig zu machen, dann freut mich das. Die SVP ist so noch stark genug. Und gerade die vier Blocher-Jahre haben gezeigt: Die Partei liess sich durch stärkere Beteiligung in der Regierung nicht zähmen. Im Gegenteil.
Gerhard Pfister
Ich gebe zu, dass die Grünen als linke Nichtregierungspartei auch an Profil gewinnen, wenn ihr Hauptgegner ähnlich oppositionell agiert. Für die CVP bedeutete Blochers Abwahl eine Schwächung. Als die SVP mit Blocher im Bundesrat vertreten war, waren mit der Partei mehr Kompromisse möglich als vor- und nachher.
Die Totalrevisionen des Asyl- und Ausländergesetzes verantwortete er als Justizminister, beides wurde vom Volk bestätigt. Ebenso wichtig war seine Unterstützung der Personenfreizügigkeit als Bundesrat. Staatspolitisch war die Verweigerung des Sitzanspruchs der SVP ebenfalls falsch.
Balthasar Glättli
Blochers Totalrevision des Asyl- und Ausländergesetzes habe ich mit vollster Überzeugung bekämpft. Und ich würde es wieder tun. Und dass sich Blocher 2004/2005 nicht gegen die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die zehn neuen Länder ausgesprochen hat, zeigt nur, dass er Teil des Wirtschaftsflügels der SVP ist, der immer schon ein doppeltes Interesse hatte an günstigen ausländischen Arbeitskräften: Erstens erhält man so günstigere Arbeitskräfte. Und dann kann man fremdenfeindliche Stimmung für die SVP machen – und damit davon ablenken, dass es ja die Firmen sind, die ausländische Arbeitskräfte rufen und die Löhne drücken. Glauben Sie im Ernst, die SVP wäre handzahm geworden, wenn Blocher 2007 nicht abgewählt worden wäre?
Gerhard Pfister
Es geht nicht darum, dass eine Partei «handzahm» werden soll, wenn sie gemäss ihrer Stärke im Bundesrat vertreten ist. Halten Sie denn die SP für handzahm? Es geht nicht um Integration, sondern um angemessene Vertretung aller massgeblichen Kräfte im Bundesrat. Aber der bilaterale Weg wäre nicht derart stark torpediert worden.
Die Ära Widmer-Schlumpf hat die Radikalisierung der SVP nur weiter gefördert. Die bürgerliche Zusammenarbeit wurde erschwert. Dass Ihnen als Linker das zupass kam, kann ich nachvollziehen. Aber es ist nie gut, wenn in unserem System eine starke politische Kraft aussen vor bleibt. Von Bundesräten erwarte ich aber, dass sie ihre Parteilichkeit zurückstellen zugunsten der Landesregierung. Hier hatte Blocher zweifellos Schwächen. Dennoch hielt ich die Abwahl für eine falsche Aktion von Politikern, die die direkte Auseinandersetzung mit Blocher scheuten und lieber den unbequemen Weg haben wollten.
Balthasar Glättli
Dass Grüne und SP die Auseinandersetzung mit Blocher gescheut hätten? Das ist nun starker Tobak. Das Gegenteil ist wahr! Wenn schon, könnte man den Medien und auch einem Teil der Linken vorwerfen, zu sehr auf die Person Blocher und die von ihm lancierten Provokationen fixiert zu sein – und damit eine Teilverantwortung für seinen Aufstieg zu tragen.
Aber den inhaltlichen Streit scheute und scheut, wenn schon, das restliche bürgerliche Lager. Es versucht immer wieder, mit Annäherung an die SVP, etwa in der Asylpolitik, zu punkten, in der Meinung, dies würde die SVP von immer radikaleren Forderungen abhalten. Typisch, dass gerade Sie die Hoffnung hegten, Blocher werde als Bundesrat seine Parteilichkeit zurückstellen.
Gerhard Pfister
Bundesrat ist nicht Parteisoldat, ja, dazu stehe ich. Ich stehe auch dazu, dass die bürgerlichen Parteien untereinander mehr gemeinsam haben als mit den Linken. Aber Ihre stereotype Anti-SVP-Haltung ist eben gerade keine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern bloss Pawlowscher Reflex. Echte Auseinandersetzung würde bedeuten, dass man zugibt, dass auch der politische Gegner recht haben könnte.
Gerade in dieser Session haben Sie ja wundersam harmonisch mit der SVP Geld für die AHV verwenden wollen. Darum sollten Sie vorsichtig sein mit dem Vorwurf an CVP und FDP, dass gleiches Stimmverhalten Annäherung sei. In Ihrer Logik dürften die Bürgerlichen der SP keinen Sitz im Bundesrat zugestehen. Nur gegen Blocher zu sein, ist keine politische Haltung, sondern argumentative Kapitulation.
Balthasar Glättli
Ihr Rundschlag trifft mich nicht. Ich habe sogar 2004 als damaliger Geschäftsführer von Solidarité sans frontières Bundesrat Blocher gelobt, weil er im Parlament die Logik der bürokratischen Zuwanderungsbeschränkung infrage gestellt hat. Sie können sich die begeisterten Reaktionen im eigenen Lager vorstellen. Leider habe ich im Rückblick Blocher mehr flexibles Denken zugetraut, als er sich und seiner Partei zumuten wollte…
Für die Abwahl gab es gute sowohl inhaltliche als auch politische Gründe – vor allem war es die notwendige Retourkutsche für die ebenso politisch motivierte Abwahl Ruth Metzlers zugunsten von Blocher, vier Jahre zuvor. Seither nimmt das Parlament von solchen Manövern wieder Abstand. Und das ist gut so.
© NZZ am Sonntag; «Für die CVP bedeutete Blochers Abwahl eine Schwächung»; 17.12.2017