SelbstbestimmungsinitiativeLesedauer ca. 3 Minuten

Das Recht des Stärkeren, der Mehrheit, bedeutet keine starke Demokratie. Nur starke Grundrechte ermöglichen auch eine starke Demokratie – und dies für jeden Einzelnen. Die Antimenschenrechts-Initiative muss klar abgelehnt werden.

Mein Votum im Nationalrat:

Wir Grünen empfehlen die „Antimenschenrechts-Initiative“ klar zur Ablehnung. Wir sind stolz auf unser Land. Wir sind stolz auf unseren demokratischen Rechtsstaat, und ein demokratischer Rechtsstaat steht eben auf zwei Beinen. Das eine Bein ist in der Schweiz stark, sehr stark: Es ist die direkte Demokratie. Sie ist besonders, sie ist mächtig, und das ist gut so. Das andere Bein ist die Rechtsstaatlichkeit, die Garantie der Grundrechte. Wir Grünen sind überzeugt, dass dieses zweite Bein ebenso stark sein muss und ebenso stark respektiert werden muss. Sonst hinkt unser Land, sonst hinkt unsere demokratische Rechtsordnung.
Warum sage ich das? Die Initiative, über die wir jetzt diskutieren, will sehr viel Kompliziertes. Aber die Botschaft an die Stimmberechtigten lautet: Verhelft endlich dem Recht zum Durchbruch, wonach die Mehrheit immer Recht hat! Sie hat immer Recht, weil sie die Mehrheit ist, selbst wenn sie beispielsweise das humanitäre Völkerrecht verletzt. Dazu sagen wir Grünen ganz überzeugt Nein.
Jede und jeder von Ihnen, die nun zuschauen, jede und jeder von uns, die in unserem Land leben, hat als Individuum das Recht, sich geschützt zu fühlen, sich gewisser Rechte sicher zu sein, auch wenn eine Mehrheit sie ihm oder ihr aberkennen will. Menschenrechte und Grundrechte sind immer auch Abwehrrechte von einzelnen Menschen gegen den Staat, gegen staatliche Willkür, dagegen, dass eben Grundrechte durch eine Mehrheit auch einfach ausgehebelt werden. Darum braucht eine starke Demokratie, zu der wir stehen, auch starke Grundrechte.
Ganz einfach formuliert: Eine Demokratie ohne Rechtsstaat, ohne Grundrechte, das ist so, wie wenn sieben Füchse und eine Gans darüber abstimmen, was es zu essen geben soll. Wir finden, die Demokratie müsse gewisse Grundrechte schützen. Hier ist es das Recht der Gans, nicht gefressen zu werden, auch wenn die Mehrheit der Abstimmenden anderer Meinung ist.
Wir Grünen wollen, dass Sie sich als Schweizerin, als Schweizer, als Mensch, der unserer Rechtsordnung unterworfen ist, gegen Behördenwillkür, gegen Diskriminierung, gegen die Verletzung Ihrer Rechte wehren können, innerhalb der Schweiz wehren können, aber notfalls auch nach Strassburg gehen können. Es wird immer gesagt, dass es diese Rechte auch in unserer Verfassung gibt. Das ist wahr. Aber diejenigen, die das sagen, verkennen, dass es bei uns eine Besonderheit in der Rechtsordnung gibt: Wir haben kein Verfassungsgericht, und entsprechend kann das Parlament auch Gesetze beschliessen, die den verfassungsmässigen Grundrechten zuwiderlaufen. Darum braucht es als Notnagel eben auch den Gang nach Strassburg.
Ein zweiter Grund, weshalb wir diese Initiative ablehnen, ist klar. Wir kennen es aus unserem Alltag: Wenn wir einen Vertrag eingehen, dann verpflichten wir uns, ihn einzuhalten. So selbstverständlich das in unserem privaten Verhältnis ist, so selbstverständlich muss das auch zwischen Staaten sein. Wenn wir nicht mehr zufrieden sind, ja, dann können wir den Vertrag auch kündigen. Aber was wir nicht tun können, ist, einfach zu sagen: Wir haben andere Regeln gemacht, und der Vertrag, den wir mit anderen eingegangen sind, gilt nicht mehr.
Der dritte Grund scheint mir auch für alle in der Schweiz relevant zu sein. Wir sind ein kleines Land, und gerade deshalb haben wir ein Interesse daran, dass auch im internationalen Verhältnis nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern das Völkerrecht.