Politiker*innen sind auch etwas eitel. Ich gehöre zu denen, die das zugeben: Ich habe mich gefreut über meinen hervorragenden vierten Platz im aktuellen Parlamentarierrating der Sonntagszeitung vom 7.7.2019. Bloss: als ich das Rating genauer anschaute, entdeckte ich Ungereimtheiten. Weil ich meine, dass korrekter Datenjournalismus wichtiger ist als allenfalls (mein Risiko…) ein weniger guter Platz im Ranking, habe ich die Sonntagszeitung darüber informiert. Und bin gespannt auf die Reaktion.
Heute hat die Sonntagszeitung ihr (in regelmässigen Abständen erscheinendes) Parlamentarierrating veröffentlicht. Solche Ratings sind zwangsläufig nicht neutral, weil die Auswahl der Parameter und deren Definition (z.B. was ist eine wichtige Kommission, sind häufige Wortmeldungen wesentlich oder nicht etc.) nicht objektiv gemacht werden kann. Immerhin: üblicherweise freuen sich die Gutplatzierten und verteidigen die gewählten Kriterien. Und die Schlechtplatzierten stellen die Methodik in Frage.
Ich stelle hier ein paar kritische Fragen. Obwohl ich gut abgeschnitten habe. Wie kommt es dazu?
Als Fraktionspräsident der GRÜNEN interessierte mich nicht nur mein eigenes Resultat, das nochmals besser war als vor zwei Jahren. Mich interessierten auch die Plätze meiner FraktionskollegInnen, wie sie abgeschnitten haben, und warum sie so abgeschnitten haben. So suchte ich nach den Rohdaten des Rankings und beschränkte die Suche auf die GRÜNEN. Das Resultat hat mich etwas verwundert: Ein weibliches 39jähriges Fraktionsmitglied aus Basel-Stadt mit Namen Eric Nussbaumer, das vor dreieinhalb Jahren neu gewählt worden ist, war mir unbekannt. Ich erinnere mich dagegen düster an einen gleichnamigen Nationalrat der Sozialdemokraten aus dem Kanton Basel-Land, der aber etwas älter ist…
Meine Neugierde war geweckt – und meine Skepsis. Vielleicht waren ja nur die Namen vertauscht worden, mutmasste ich zuerst. Und es hätte hier „Sibel Arslan“ stehen müssen. Als ich dann aber die in der Sonntagszeitung publizierten Kantonsratings anschaute, fand ich heraus, dass dort zwar von Hand nachkorrigiert worden war. Aber der Fehler lag offensichtlich tiefer und konnte so nicht korrigiert werden. In der Zeitung sind nämlich sowohl Eric Nussbaumer (korrekt in BL und als SP geführt) wie auch Sibel Arslan (korrekt in BS und als GRÜNE geführt) mit dem Platz 54 im Ranking bedacht:
Korrekturen und Transparenz über Datenquellen und Auswertung?
Es ist offensichtlich: hier wurden grobe Fehler gemacht (Update 9. Juli: gemäss einer neu hinzugefügten Fussnote wurden in den Rohdaten auch die Namen von Peter Keller und Philipp Hadorn verwechselt)
Und die Sonntagszeitung wird nicht darum herumkommen, den seriösen Teil des Datenjournalismus nachzuholen, nachdem sie diesen Sonntag süffig mehrere Seiten mit Kommentaren und Interviews zu einem möglicherweise schlicht schon handwerklich falschen Rating gefüllt hat.
Einige der aus meiner Sicht offenen Fragen:
- Wie sieht die korrekte Datengrundlage aus, die für das Ranking verwendet wurde (die verlinkte ist offensichtlich falsch)?
- Welche Unterschiede zu den publizierten Resultaten ergeben sich, wenn die korrekte Datengrundlage fürs Ranking verwendet wird?
- Wie werden die verschiedenen Faktoren gewichtet für das Gesamtranking?
- Wie werden die einzelnen Faktoren ermittelt? Dies muss konkret für sämtliche Faktoren aufgezeigt werden, damit die Werte nachvollzogen werden können. Konkret würde das beispielsweise heissen: Woraus ergibt sich das Kommissionsranking? Wie wird die Einschätzung der Parlamentarier*innen durch Kolleg*innen ermittelt – ich jedenfalls habe nie in den vergangenen Monaten der Sonntagszeitung entsprechende Fragen beantwortet, obwohl ich doch im letzten Rating auch als wichtiger Parlamentarier ermittelt wurde? Wie wird der Beziehungsfaktor ermittelt? Welche Werte ergeben die Ämterwerte in Partei und Parlament?
- Warum sind Personen ausgeschlossen, welche die ganze Legislatur im Rat waren und auch im Herbst wieder kandidieren (zB Carlo Sommaruga, heute NR, kandidiert als SR für Genf)
- Würden auch die Ratings der Vergangenheit anders aussehen, wenn die gleichen Prüfungen sorgfältig nachgeholt würden?
Wenn die Sonntagszeitung keine volle Transparenz schafft über die Methoden, Rohdaten und Berechnungsformeln, die zusammen am Schluss das Parlamentarier*innen-Rating ergeben, dann müsste man leider zum Schluss kommen, dass dieses eine schlichte Unterhaltungsschreibe war und ist.
Um nicht falsch verstanden zu werden, präzisiere ich gerne: Es soll keinem Medium benommen sein, in Kommentaren sich darüber zu äussern, wer aus Sicht der jeweils Schreibenden wichtig, einflussreich und tüchtig ist im Parlament – und wer nicht. Wenn sich allerdings solche Kommentare auf ein Ranking stützen, das nach scheinbar nachprüfbaren Kriterien erstellt wurde, müssen die Verantwortlichen zwingend auch dafür sorgen, dass diese Kriterien korrekt ermittelt und ausgewertet werden und dass das Vorgehen nachvollziehbar ist.
Eine persönliche Schlussbemerkung
Üblicherweise kritisieren solche Rankings nur diejenigen am Ende der Rangliste. Mit diesen meinen kritischen Bemerkungen bin ich zumindest in diesem Punkt unverdächtig. Denn ich gehe davon aus, dass – wenn überhaupt – sich mein persönliches Ranking bloss verschlechtern könnte. Aber mir sind – wie auch sonst in der Politik – die Facts lieber als der schöne Schein.