Betroffene zu Beteiligten machenLesedauer ca. 3 Minuten

«Am Ende entscheiden jedoch andere.» So lapidar beschreibt die NZZ-Journalistin Linda Koponen die Tatsache, dass die Schweiz sie und über zwei Millionen weitere ihrer BewohnerInnen von der demokratischen Mitsprache ausschliesst. «Die Ausländer von heute sind die Frauen von damals» lautet der Titel ihres Artikels. Die Grünen fordern darum politische Rechte für AusländerInnen.

Die Schweizer Demokratie ist etwas Besonderes. Unsere direktdemokratischen Instrumente, das Referendum und das Initiativrecht, sie gelten vielen Menschen in anderen Ländern als Vorbild. Zu Recht. Gerade das Initiativrecht ermöglicht es, auch Fragen auf die politische Agenda zu setzen, die in der etablierten parlamentarischen Politik weit von einer Mehrheit entfernt sind. Das Paradebeispiel: die GSoA-Initiative zur Abschaffung der Armee. Oder in neuerer Zeit die Volksinitiative für die Einführung eines Grundeinkommens.

«Wir wollen das Stimm- und Wahlrecht für AusländerInnen einführen.»

Gleichzeitig muss kritisch festgehalten werden: Die Schweizer Demokratie bleibt unvollkommen. In der Vergangenheit wurden klar gewisse Grenzen deutlich: Warum erhielten Frauen ihr Stimmund Wahlrecht erst vor 50 Jahren, nach mehreren Anläufen? Und warum dauerte es danach nochmals Jahrzehnte, bis auch in den Kantonen zumindest die politische Gleichberechtigung durchgesetzt werden konnte? Wie kam es, dass bis 1977 einzelne Kantone Ausschlussgründe vom Stimmund Wahlrecht gekannt haben wie Verschwendung, Trunksucht, lasterhafter Lebenswandel, Misswirtschaft, Wirtshausverbot, fehlende bürgerliche Ehrenfähigkeit oder dauernde Unterstützungsbedürftigkeit und die Ausschlussgründe erst 1978 auf eidgenössischer Ebene vereinheitlicht wurden?

Ein demokratischer Skandal

Auch heute noch ruht ein dunkler Schatten auf unserer Demokratie. Ein Viertel der hier lebenden Menschen, nämlich alle ohne Schweizer Pass, sind vom Stimmund Wahlrecht auf eidgenössischer Ebene ausgeschlossen. Ein halbes Jahrhundert nach Einführung des Frauenstimmrechts darf heute in Dutzenden von Gemeinden nur weniger als die Hälfte der Einwohnerschaft in Bundesangelegenheiten mit abstimmen. Die andere Hälfte hat keinen Schweizer Pass, ist noch nicht volljährig oder entmündigt.
Das trifft auf Gemeinden und Städte wie Kreuzlingen, Dietikon oder Schlieren zu. Aber auch auf Grossstädte wie Genf. Dort haben bei nationalen Urnengängen nur 86 000 von über 203 000 EinwohnerInnen das Stimmrecht. Und bereits in einem Jahrzehnt könnte gar in einem ganzen Kanton, in Basel-Stadt, die Hälfte der EinwohnerInnen kein Stimmrecht haben. Ein eigentliches demokratisches Skandalon. In umgekehrter Richtung zeigt die Schweiz sich übrigens offener: über 770 000 AuslandschweizerInnen erhalten, sobald sie volljährig sind, hierzulande das Stimmund Wahlrecht. Und dies auch dann, wenn sie noch nie in der Schweiz gelebt haben und dies auch nicht planen.

Stimmrecht für AusländerInnen

Damit alle Menschen, die hier leben und arbeiten, auch als Citoyennes und Citoyens anerkannt werden, bringen wir Grüne das Stimmund Wahlrecht für AusländerInnen wieder auf die Agenda des Parlaments. Das hat seit 20 Jahren niemand mehr gemacht. Die Forderung unserer Parlamentarischen Initiative, die wir in der Märzsession einreichen, ist einfach: AusländerInnen mit einer rechtmässigen Aufenthaltsdauer von fünf oder mehr Jahren erhalten auf Bundesebene das Stimmrecht und das aktive und passi-ve Wahlrecht – also das Recht, das Parlament mitzuwählen und auch selbst ins Parlament oder gar in den Bundesrat gewählt zu werden.


Wie viele neue Anläufe es braucht, bis das AusländerInnen-Stimmrecht eine Mehrheit findet, wird die Zukunft weisen. Aber den Versuch ist es wert: Nach den verschiedenen Niederlagen der SVP gilt es die Chance zu nutzen und beim Thema Gleichberechtigung der MigrantInnen aus der Verteidigungshaltung auszubrechen. Und demokratische Grundrechte einzufordern.

Zwischenerfolg für Stimmrechtsalter 16

Immerhin lehrt die Vergangenheit: in einem Jahrzehnt kann sich vieles ändern. Wenn ein Thema hartnäckig verfolgt wird. So hatten noch zwei Drittel der Männer 1959 das Frauenstimmrecht abgelehnt – zwölf Jahre später war das Verhältnis schon umgekehrt.

Auch aktuell gibt es Positives zur Ausdehnung des Stimm- und Wahlrechts zu berichten. Gerade diesen Montag hat ein Vorstoss der grünen Nationalrätin Sibel Arslan für das (aktive) Stimmund Wahlrechtsalter 16 eine weitere Hürde genommen. Er wurde von der Staatspolitischen Kommission des Ständerats zur Annahme empfohlen, nachdem er in der Herbstsession bereits im Nationalrat überraschend eine Mehrheit gefunden hatte.

Dieser Text erschien am 6.2.2021 in der linken Wochenzeitung P.S. – eine längere Version ist als Blog auf www.gruene.ch publiziert.