ACTA-Demo 11.2.12 – mein SpeechLesedauer ca. 5 Minuten

Freundlicherweise wurde ich eingeladen, an der Demo von Piraten und Netzaktivisten gegen ACTA zu sprechen. Hier mein Redemanuskript. Ich habe vier Punkte formuliert: Wir müssen präzise sein – Schauermärchen werden uns im Widerstand gegen ACTA nicht helfen. Im Kern unseres Kampfes muss die Sensibilität für Grundrechte stehen. Es ist wichtig zu betonen, dass es bei ACTA nicht „nur“ ums Internet geht. Und wir dürfen den Kampf gegen Zensur und Schnüffelei nicht gegen die Kulturschaffenden führen – sondern mit ihnen zusammen!

Foto: Karin Müller, uneekmedia[ Weitere Artikel zu ACTA »» ]

Liebe Netzaktivisten, liebe Piratinnen,

Heute ist ein historischer Tag. Zum ersten Mal demonstrieren alleine in Europa über 250‘000 Menschen für die Freiheit des Internets. Stehen wir heute bei der Netzpolitik am gleichen Ort wie beim Umweltschutz vor 30 Jahren? Mit einer Politik, die versagt hat – und vielen PolitikerInnen, die auch schlicht überfordert sind? Es braucht eine internationale Bewegung, die klar macht, dass dem Internet als Medium des freien Meinungsaustausches der Kollaps droht – wie nicht nur einst sondern immer noch unserer Umwelt der Kollaps droht durch die gierige Ausbeutung beschränkter natürlicher Ressourcen.

Ich bringe vier Botschaften mit an die heutige Demo:

  1. Nur wenn wir präzise sind, sind wir glaubwürdig!
  2. Im Kern unseres Kampfes muss die Sensibilität für Grundrechte stehen!
  3. Es geht bei ACTA nicht nur ums Internet!
  4. Wir dürfen den Kampf gegen Zensur und Schnüffelei nicht gegen die Kulturschaffenden führen – sondern mit ihnen zusammen.

Zum Ersten:
Unser Widerstand wird nur dann breit überzeugen können, wenn wir ehrlich sind, und präzise. Schauermärchen und Verschwörungstheorien, wie sie zum Teil auf dem Netz kursieren, mobilisieren jene, die schon auf unserer Seite sind, klar. Mehrheiten dagegen können wir nur überzeugen mit einer klaren und präzisen Argumentation. Das Acta Abkommen, das heute vorliegt, ist eine Light Version im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen. Im engeren Bereich des Urheberrechts würde Acta gemäss den momentanen Auskünften in der Schweiz direkt nichts ändern. Aber es hätte in anderen Ländern wesentliche Auswirkungen, und in anderen Bereichen wäre es auch in der Schweiz wirksam. Seien wir präzise, entlarven wir die Schwächen in den Argumentationen der Befürworter, statt uns eigene zu leisten.

Zweitens:
Die Sensibilität für Grundrechte ist leider in unserer Zeit viel zu klein. Heute spricht man vom «Krieg gegen die Produkte-Piraterie» – in meinen Ohren klingt das nach einer Neuauflage des «War on terror», des «Krieg gegen Terrorismus». Wir müssen klar machen: wenn hier von Krieg gesprochen wird, geschieht das mit Absicht. Weil der Krieg eine Situation der äussersten Bedrohung ist, die es scheinbar rechtfertigt, auch Grundrechte ausser Kraft zu setzen. Aber: Wer gegen den «Krieg gegen den Terrorismus» ist, ist noch lange nicht für den Terrorismus. Und wer gegen den «Krieg gegen die Produkte-Piraterie» ist, ist noch lange nicht für die «Produkte-Piraterie». Was wir sagen, ist einzig: unser Rechtssystem kennt Prozessgarantien und Schutz von Grundrechten, und es besteht keine Not diese aufzuheben. Das ist auch der Grund, warum amnesty international die EU aufgerufen hat, ACTA nicht zuzustimmen. Denn die angeblichen Grundrechtsgarantien im Text sind eine Täuschung. In ihrer Stellungnahme schreibt Amnesty International:

Amnesty International is gravely concerned about the ACTA’s vague and meaningless safeguards. Instead of using well-defined and accepted terminology, the text refers to concepts such as “fundamental principles” and even invents a concept of “fair process”, which currently has no definition in international law. “Worryingly, ACTA’s text does not even contain references to safeguards like ‘fundamental rights’, ‘fair use’, or ‘due process’, which are universally understood and clearly defined in international law,” said Widney Brown.

Zu deutsch: Die angeblich bei ACTA eingeführten Vorbehalte zum Grundrechtsschutz sind rechtlich unverbindlich und in einer juristisch völlig undefinierten Sprache formuliert. Darum braucht es Widerstand zB gegen Hausdurchsuchungen (digital via Bundestrojaner oder physisch vor Ort) ohne begründeten Verdacht oder gegen eine Pflicht der Internetprovider, die Kommunikation ihrer KundInnen auf Vorrat zu überwachen.

Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel.

Drittens:
ACTA betrifft nicht einfach nur das Internet, im Gegenteil: laut der Erklärung von Bern (EvB) geht ACTA “noch weit über die im Rahmen der WTO global verhandelten Regelungen hinaus. Studien des europäischen Parlaments, aber auch von Universitäten und NGOs wie der EvB belegen eindeutig, das weitere grosse Gefahren von ACTA ausgehen.”
Das plurilaterale Handelsabkommen ACTA bedroht, wie die EvB festhält, nicht nur die Meinungsfreiheit im Internet sondern auch den Zugang zu lebenswichtigen Generika in Entwicklungs- und Schwellenländern: Unter dem Vorwand, Medikamentenfälschungen zu bekämpfen, könnten Generika beim Grenzübertritt beschlagnahmt werden, wie in Europa bereits geschehen.
Entgegen der Beteuerungen seiner Verfechter löst ACTA dagegen das Problem des Medikamentenhandels mit nicht zugelassenen oder minderwertigen Präparaten nicht. Juristisch bedeutet „Fälschung“ eine Verletzung von Markenrechten. ACTA greift deshalb nur, wenn geistiges Eigentum im Sinne von Markenrechten verletzt wird. Aber auch echte Generika, deren Namen eingetragenen Marken ähneln, könnten künftig beim Ländertransit vom Zoll beschlagnahmt werden. So wie Internet Provider zur Netzpolizei avancieren sollen, um Urheberrechte durchzusetzen, soll der mit Steuergeldern finanzierte Zoll die Interessen privater Pharmakonzerne durchsetzen.

Und, last but not least, viertens eine wichtige Message, die mir hier sicher nicht nur FreundInnen schaffen wird:
Piratinnen und Piraten: Der Kampf gegen Acta, gegen Zensur und Schnüffelauflagen kann nur zusammen mit den Kulturschaffenden geführt werden. Und nicht gegen sie. Die Mehrzahl der Kulturschaffenden lebt vom Urheberrecht. Wer das verständliche Feindbild der Medienkonzerne bemüht, darf nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und Lösungen fordern, welche die „Kultur-KMUs“ existentiell bedrohen, all jene unzähligen Kulturschaffenden, die heute effektiv das Urheberrecht brauchen. Reich werden davon ja die allerwenigsten!
Wie wichtig das Copyright ist, wissen ja die Vertreter der freien Software selbst am besten: Copyleft nutzt ja eben gerade die Mechanismen des Copyrights selbst, um die Privatisierung geistigen Eigentums durch Dritte zu verhindern, um eine Kommerzialisierung eines gemeinsam geschaffenen Werkes durch Grosskonzerne zu verhindern.

Sicher ist: Was es jetzt braucht, ist Widerstand. Lauten Widerstand, damit Acta nicht länger tot geschwiegen werden kann. Damit keine Parlamentarierinnen und Parlamentarier Acta ratifizieren und nachher sagen, sie hätten nicht gewusst, was genau drin steht.
Unser Protest zeigt Wirkung. Deutschland steht jetzt auf die Bremse, nachdem Polen, Tschechien und Lettland das Abkommen – zumindest vorläufig – auf Eis gelegt haben. Machen wir weiter Druck: Stopp Acta – auch in der Schweiz!

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